: Menschenrechte-betr.: "Testfall Festung", taz vom 12.3.91
Betr.: „Testfall Festung“, taz vom 12.3.91
Italiens Vorgehen gegen die albanischen Flüchtlinge ist kein Testfall für die Festung Europa.
Getestet wurde früher. Das letzte Mal, als Turgut Özal am 6.8.90 die Aufhebung der Menschenrechte in den kurdischen Provinzen der Türkei dem Europarat bekanntgeben ließ. Von internationaler Ächtung — oder auch nur Protest — wegen dieser Willkürmaßnahme des türkischen Regimes war nicht die Rede. Die Unterdrückung der Kurden konnte ihren ungestörten Fortgang nehmen. In der Folge konnte die Entvölkerung Türkisch-Kurdistans — jetzt unter dem Deckmäntelchen „Evakuierung“ — fortgesetzt werden. US- Bomber, die von türkischen Basen starteten, bombardierten kurdische Dörfer im Irak — und auf dem Rückweg „verloren sie die restlichen Bomben“ über der Türkei auf kurdische Dörfer. Türkische Kampfflugzeuge bombardierten (ohne sonstige Kampfhandlungen mit dem Irak) die türkisch-irakische Grenze; — alles kurdisches Land. Folter ist in der Türkei die Normalität. Allein im Februar '91 überlebten 30 Menschen die Polizeihaft nicht. 317 (!) Menschen warten in den Todeszellen auf die Hinrichtung. Diese — und all die anderen Menschenrechtsverletzungen wurden im Europarat nicht verurteilt. Auch nicht durch die BRD.
Im Gegenteil. Im Schatten dieser Terrormaßnahmen kann sich die BRD die vielen „kleinen“ Schweinereien leisten. Weder die Verwirklichung des Rechts auf Wohnung, noch des Rechts auf Arbeit und menschenwürdige Existenz — für alle in der BRD Lebenden — wird von den Regierenden angestrebt. Die Justiz der BRD verfolgt in Düsseldorf und Celle kurdische Politiker der PKK mit der Keule § 129a. In Hessen werden Kurden wegen Protestaktionen gegen den Giftgas-Angriff auf die Bevölkerung von Halabja durch die Justiz verfolgt. Einem der Demonstranten — er lebt seit 10 Jahren in der BRD — wurde vom Magistrat in Hanau im November '90 „jegliche politische Betätigung... die gegen die derzeitige türkische Staatsform“ gerichtet ist, verboten. In der Begründung hieß es u.a. „Am 20.8.88 drangen Sie mit 17 weiteren Personen in den Vorraum des Büros der Iraqi- Airwais in Frankfurt ein. Es wurden Flugblätter verteilt, auf denen der Giftgaseinsatz der Irakischen Regierung verurteilt wurde.“ Der hessische Innenminister will in diesen Tagen wiederum zwei kurdische Familien, die um Asyl nachsuchen mußten, in die Türkei zurück schicken. Und. Und. Und.
Die Testphase ist folglich längst vorbei. Das Verhalten der italienischen Regierung ist der brutale Alltag. Die Ansprüche zu Demokratie und Menschenrechten hängen längst in „schönem“ Rahmen in Europas Klo. Reinhold-Eberhardt Rückert, Sprecher der „Aktion Erwerbsloser Frankfurt, Frankfurt
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