: Provinzposse der Wanderbühne Bonn-Berlin
Seit Monaten wird der Streit um die deutsche Hauptstadt verbissen, mit Ranküne und unlauteren Methoden geführt/ Schon Weimar, Frankfurt und Berlin konkurrierten weiland um den Parlamentssitz ■ Aus Berlin Kordula Doerfler
Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel sind dafür, Johannes Rau und Oskar Lafontaine dagegen. Wolfgang Schäuble und Richard von Weizsäcker sind dafür, Theo Waigel und Norbert Blüm sind dagegen ... Die Grenze zwischen Befürwortern und Gegnern Berlins verläuft quer durch die Parteien und hat viel mit Lokalpatriotismus und ökonomischen Interessen zu tun. Der Streit um die deutsche Hauptstadt tobt seit Monaten durchs gesamtdeutsche Land und hat ein Rauschen im deutschen Blätterwald von 'FAZ‘ bis taz entfacht, das seinesgleichen sucht. Gestritten wird seit dem zweiten deutsch-deutschen Staatsvertrag nicht mehr um den nominellen Titel der Hauptstadt — der fiel an das vereinigte Berlin. Alles andere ließen die Väter des Einigungsvertrags jedoch bewußt offen — es darf weiter gestritten werden, bis das erste gesamtdeutsche Parlament seine Entscheidung trifft.
So überhaupt politisch argumentiert wird, sind die Standpunkte klar: Es geht um die neue Mitte Europas, um eine mögliche Verlagerung des Machtzentrums vom Rhein an die Spree, es geht vordergründig um Föderalismus versus Zentralstaat. Die Debatte gleicht ansonsten einer Provinzposse: Sie wird verbissen geführt, unsportlich, mit Ranküne und unlauteren Methoden.
Der Streit um die deutsche Hauptstadt ist so alt wie die Geschichte der Einigung der deutschen Länder: Jahrhundertelang stritten die deutschen Kaiser um den Herrschersitz, im 19. Jahrhundert spitzte sich auf dem Weg zum ersten Nationalstaat 1871 die Auseinandersetzung zu. Weimar, Frankfurt und Berlin konkurrierten um den Parlamentssitz, nach dem Zweiten Weltkrieg kam die betuliche Kleinstadt am Rhein dazu. 1949 einigte sich der deutsche Bundestag auf Bonn als Provisorium und Berlin als Hauptstadt nach der Wiedervereinigung. Den Ausschlag gab der Alte vom Rhein, der aus seiner Abneigung gegen Preußen wahrhaft nie ein Hehl gemacht hatte. Was damals niemand ahnte: Das Provisorium dauerte über vier Jahrzehnte und wurde in einem Augenblick ernsthaft bedroht, als niemand mehr damit rechnete. Im Lichte der deutschen Einheit erkannte die Bonner Regierungsbürokratie plötzlich,
welches Juwel man sich da am Rhein geschaffen hatte und wie furchtbar unbequem ein Umzug in das ferne unübersichtliche Berlin sich gestalten würde.
Der erste, der es offen aussprach, war der ehemalige Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow: Er machte im Februar letzten Jahres den Vorschlag, Berlin solle die Hauptstadt des vereinten Deutschlands werden, zu einem Zeitpunkt, als die Modalitäten der deutschen Einigung noch völlig offen waren. Die Reaktionen kamen dennoch prompt und heftig. Der Bonner Oberbürgermeister Hans Daniels, der noch im Sommer 1989 gegenüber Michail Gorbatschow Bonn als Wartesaal für Berlin bezeichnet hatte, wollte in der Stunde der Wahrheit nicht mehr gern an diesen Ausfall erinnert werden. Bonn und Berlin, so der CDU-Politiker, könnten sich die Hauptstadtfunktionen doch teilen ...
Seitdem tobt der Konkurrenzkampf zwischen Rhein und Spree, werden Bürgerinitiativen für Bonn und Berlin gegründet, kungeln die Lobbyisten in den Hinterzimmern und werden Unsummen für scheinbar objektive Umfragen verschleudert. Zweimal griff das Staatsoberhaupt von Weizsäcker in die Debatte ein und brachte jedesmal die Emotionen zum Überkochen. Während in Bonn flugs eine Arbeitsgruppe für die Hauptstadt Bonn gegründet wurde, der bald eine Bürgerinitative „Ja zu Bonn“ seitens eines agilen Kneipenwirts folgte, verschlug es den West-Berlinern, so scheint es, erst einmal die Sprache. Der damalige Regierende Bürgermeister Walter Momper war keineswegs immer ein flammender Befürworter einer Hauptstadt Berlin, wie er später glauben machen wollte, und der kleinere Koalitionspartner Alternative Liste war ob des Schocks über den drohenden Verlust der Zweistaatlichkeit ohnehin paralysiert. In Ost- Berlin hatte man weniger Schwierigkeiten mit der Vorstellung einer Hauptstadt Berlin, war man doch seit Jahrzehnten an deren Annehmlichkeiten gewöhnt. Die Bonner nutzten die Gunst der Stunde und begannen ihre Klientel auf die Beine zu bringen, begleitet von einer beispiellos parteilichen Kampagne im Bonner Generalanzeiger — der gleichen Zeitung, die im Oktober ihren Chefredakteur Friedrich Kemna wegen mangelnder Emphase gegen Berlin feuerte.
Die Berliner SPD sprang erst im Mai geschlossen auf den Hauptstadtzug, der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Feilcke gründete dagegen schon im April eine „Initiative Hauptstadt Berlin“ und warb unermüdlich für seinen Herzenswunsch. In Bonn löste der Wirbel Panik aus: Die Grundstückspreise fielen in den Keller, die Bauvorhaben in Milliarden-Höhe, die dem Bundesdorf noch im Dezember 1989 genehmigt worden waren, schienen plötzlich bedroht. Über den Sommer hinweg, während mit heißer Nadel an der Einheit gestrickt wurde, beglückten Bonn und Berlin die Öffentlichkeit mit einer wahren Flut von Meinungsumfragen und Studien. Die Zustimmung zur einen oder anderen Stadt schwankte zwischen 40 und 80 Prozent, die Kosten für den Umzug beliefen sich je nach Auftragsteller zwischen 85 Milliarden Mark (Bonn) und sieben Milliarden (Berlin). Höhepunkte der Auseinandersetzung waren die Auftritte der jeweiligen Bürgermeister in den feindlichen Städten. In Berlin diktierten dann andere Probleme die politische Tagesordnung. Die Einheit mußte organisiert werden, der Wahlkampf lief auf vollen Touren, im letzten Moment brach die rot-grüne Koalition auseinander. Während in Bonn eifrig weiter agitiert wurde, rückte die Hauptstadtfrage in der Hauptstadt in den Hintergrund.
Die Koalition für die Verlegung von Parlament und Regierung reicht dort mittlerweile von links nach rechts, erhofft man sich doch dadurch eine Lösung der gewaltigen wirtschaftlichen und ökonomischen Probleme der Stadt nach der Vereinigung. Während in Bonn bereits eine Unterschriftenliste für einen interfraktionellen Gesetzesentwurf für Bonn kursiert, hat der Streit einen neuen Höhepunkt erreicht: Wann überhaupt ist der richtige Zeitpunkt für die Entscheidung - vor Ostern, nach Ostern, vor der Sommerpause, nach der Sommerpause, noch in diesem Jahr ...
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