KOMMENTARE: Späte Reue
■ Die Bekenntnisse des Karl Otto Pöhl
Leipzig, nicht Brüssel hätte zweifellos den passenden Ort für Karl Otto Pöhls vernichtende Bilanz der deutsch-deutschen Währungsunion abgegeben. Dort erfahren die Menschen bereits seit Monaten, worin der oberste Währungshüter ihnen jetzt selbstgefällig beipflichtet: Die Einführung der D-Mark zum 1. Juli 90 hat die Ökonomie der ehemaligen DDR in eine Katastrophenlandschaft verwandelt. Nicht dieses vernichtende Urteil jedoch, sondern die Tatsache, daß einer der Hauptverantwortlichen es offen ausspricht, macht das Spektakuläre des Vorgangs aus. Stellvertretend für den finanzpolitischen Sachverstand, der sich im Februar letzten Jahres wider besseres Wissen dem Primat der Bonner Politik unterwarf, kündigt Pöhl das damals geschlossene Stillhalteabkommen. Daß, nachdem der Damm gebrochen ist, sich mit Tyl Necker auch noch der damalige Chef des Bundesverbands der deutschen Industrie im nachhinein zu entschulden sucht, ist schon nicht mehr überraschend.
Freilich ist Pöhl mit seinem dankenswert klaren Bekenntnis die Mitverantwortung für das gigantische Experiment nicht los. Eher wirkt es ein bißchen billig, wenn der Ober-Banker sich jetzt als der geriert, der von Anfang an vor dem ruinösen Parforceritt gewarnt habe. Entscheidend bleibt, daß er — wie viele seiner halbherzigen Kollegen — nicht den Mut besaß, das populistische Kalkül der Bundesregierung mit seinem begründeten Veto zu durchbrechen. Stattdessen übernahm die Bundesbank das allfällige Gerede von der nationalen Herausforderung und zeichnete fortan für die generalstabsmäßige Planung und Durchführung der Währungsunion verantwortlich. Pöhl hat sich verhalten wie man es sonst nur von einem deutschen Beamten erwartet. Er setzte auf Pflichterfüllung, nicht auf die im Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit der Institution, der er präsidiert. Die bekannte Tatsache, daß Pöhl, als er von der abenteuerlichen Idee der schnellen Währungsunion erfuhr, die Hände über dem Kopf zusammenschlug, gerät ihm jetzt nicht zur späten Ehre. Eher macht es die Sache nur schlimmer, daß der Bundesbankchef sich entgegen besserer Einsichten vor den patriotischen Karren spannen ließ.
Mit seiner späten Kritik der Währungsunion greift Pöhl das Zentralstück der Bonner Einheitsstrategen an und schneidet ihnen zugleich die Rückzugsargumente ab, mit denen die Verantwortung für das Desaster jetzt abgewälzt wird. Die politische Substanz von Pöhls Einschätzung lautet: Die Währungsunion war politisch nicht ökonomisch kalkuliert — der Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft ist hausgemacht, die aktuellen Rückzugsargumente der Bundesregierung vom „Zusammenbruch des RGW“ bis zur „SED-Altlast“ sind fadenscheinig. Die im Einheitsjahr überlegen erscheinende Strategie der Bundesregierung, die Souveränität, mit der sie die Opposition aus dem Rennen warf, erweist sich so als Pyrrhussieg. Unter dem aktuellen ökonomischen Problemdruck zerrinnt der politische Profit von gestern. Denn daß die Regierung mit dem D-Mark-Versprechen den Nerv der depravierten Ost-Bürger traf und die Sozialdemokraten ins nationale Abseits rückte, daß sie mit der Währungsunion die letzte DDR-Regierung ihrer Souveränität beraubte und damit zugleich ihren Einheitskurs unumkehrbar machte, all das erscheint ein knappes Jahr später keineswegs mehr als Garant für eine politische Hegemonie der Union im vereinten Deutschland. Eher wirkt es heute schon wie die gloriose Vorgeschichte des spektakulären politischen Konkurses, dem die Union jetzt — verdienterweise — entgegentreibt.
Entlastend ist das keineswegs. Denn ein ökonomischer Kurs, der die Folgen der Währungsunion mittelfristig auch nur abfedern könnte, ist ebensowenig in Sicht wie eine politische Alternative zur Union. Die SPD kann für sich kein überzeugendes Gegenkonzept, sondern bestenfalls das Mitleid für die im Einheitsjahr rücksichtslos Ausgehebelten beanspruchen. Noch ist überhaupt nicht abzuschätzen, ob sich die bodenlos Enttäuschten in den neuen Bundesländern nach dem ersten gravierenden Lehrstück in Sachen parlamentarische Demokratie & Marktwirtschaft überhaupt an die vorgegebenen politischen Spielregeln der alten Bundesrepublik zu halten gewillt sind. Der Hohn jedenfalls, den die Verschleierungsstrategie der Bundesregierung den entwürdigenden Erfahrungen der ehemaligen DDR-Bürger alltäglich spricht, zerrüttet zugleich das Vertrauen in die parlamentarische Interessensvertretung überhaupt. Dem könnte die Bundesregierung nur gegensteuern, wenn sie Karl Otto Pöhls spätem Eingeständnis folgte und ihre Schuld am ostdeutschen Desaster eingesteht. Zum Kanzler der Zerrüttung ist der Kanzler der Einheit ohnehin länst degradiert. Matthias Geis
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