: Der schleichende Tod der britischen Kopfsteuer
Britische Regierung kürzt die Kopfsteuer/ Die Wirtschaft steckt tief in der Rezession/ Parlamentswahlen schon im Juni? ■ Von Ralf Sotscheck
Die britische Kopfsteuer stirbt auf Raten. Im neuen Haushaltsplan, der am Dienstag veröffentlicht wurde, ist eine Kürzung der umstrittenen Steuer um 140 Pfund (ca. 410 Mark) pro Person und Jahr vorgesehen. Das dadurch entstehende Loch in der Haushaltskasse von 4,25 Milliarden Pfund (12,4 Milliarden Mark) soll durch die Mehrwertsteuer gestopft werden, die am 1. April von 15 auf 17,5 Prozent steigt.
Finanzminister Norman Lamont sagte: „Die Mehrwertsteuer ist eine Steuer auf Konsum. Im allgemeinen gilt, daß diejenigen, die mehr besitzen, auch mehr ausgeben und deshalb am meisten Steuern zahlen. Ich bin zuversichtlich, daß dieser Schritt nicht regressiv ist. Die Verlierer sitzen am oberen Ende der Einkommensskala.“ Der neue Haushaltsplan ist ein politischer Balanceakt. Einerseits haben die Torys bei sämtlichen Nachwahlen zum Unterhaus in den vergangenen zwölf Monaten wegen der Kopfsteuer tiefe Einbrüche erlebt, andererseits haben viele Hinterbänkler vom rechten Thatcher-Flügel ihren Parteiaustritt angedroht, falls die „Gemeindeabgaben“ aufgehoben würden. Die Kopfsteuer zur Finanzierung der Gemeinden wird von den Bezirksverwaltungen festgesetzt und weist in ihrer Höhe erhebliche Unterschiede auf. So kam es vor allem in London dazu, daß die Bewohner einer Straßenseite 1.500 Mark zahlen mußten, während die Leute gegenüber mit 400 Mark davonkamen, weil sie einem anderen Bezirk angehörten. Die Kopfsteuer wird von jedem erwachsenen Einwohner unabhängig vom Einkommen erhoben, so daß sie einer Subvention der Reichen durch die Armen gleichkommt. Mit dem schleichenden Ende der Kopfsteuer ist der Juni als Termin für die Parlamentswahlen wieder ins Gespräch gekommen. Darauf deuten auch andere Maßnahmen Lamonts hin. So wird das Kindergeld ab Oktober erhöht und mit der Inflation gekoppelt, die Steuerermäßigung für hohe Hypothekenzinsen wird abgeschafft, und die Kanalinseln sowie die Isle of Man sollen ihren Rang als Steuerparadiese verlieren — alles Punkte, die im Programm der Labour Party ganz oben stehen. Diese wahltaktischen Maßnahmen sollen durch Erhöhungen der Tabak- und Alkoholsteuern finanziert werden.
Allerdings gab Lamont zu, daß die ökonomischen Aussichten für Großbritannien keineswegs rosig seien: Nachdem das Finanzministerium im Herbst noch ein Wachstum von einem halben Prozent vorausgesagt hatte, wird die Wirtschaft in diesem Jahr tatsächlich um zwei, der Produktionsausstoß gar um fünf Prozent schrumpfen. Lamont sagte, die Zahl der Arbeitslosen werde auf weit über zwei Millionen ansteigen. Dennoch behauptete er, daß die „Rezession weitgehend hinter uns“ liege.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen