: "Kauft keine Bananen bei Stasis!"/Neue Tabus statt Auseinandersetzung
■ Vergangenheitsbewäligung in der Provinz: Ein ehemaliger Stasi-Offizier soll keine Südfrüchte verkaufen dürfen/Mit Morddrohungen, Schmierereien und Denunziationen...
Die Parole war damals so richtig von Herzen gekommen: „Stasi in den Tagebau!“ — wer hätte nicht voll bitterer Schadenfreude gelacht als dieses Transparent auf den Nach-Wende-Demonstrationen auftauchte. Klaus Willmer (Name von der Redaktion geändert) hat schon damals nicht gelacht und heute ist ihm eher zum Heulen zumute. Klaus Willmer — das bekennt er offen — war einer von denen, die man damals in den Tagebau wünschte. Er hat als Offizier für die Stasi gearbeitet. Willmer war kein hohes Tier — eher zu klein, um die vielbeschworenen und sichtbaren neuen alten Seilschaften zu nutzen. Aber gerade deshalb ist sein Fall nicht untypisch für viele seiner Ex- Kollegen und für das schwierige Kapitel Vergangenheitsbewältigung in der ehemaligen DDR.
Seit Monaten geht Willmer jetzt zwar nicht Untertage Stein und Kohle klopfen, aber auf seine Weise hat der 35jährige ehemalige Stasi- Offizier die Forderung der Demonstranten erfüllt: Er steht jede Nacht um ein Uhr auf, um auf dem Berliner Großmarkt Bananen- und Apfelsinenkisten in sein Auto zu hieven. Abends fällt er todmüde ins Bett. Zusammen mit seiner Frau hat Willmer an seinem Wohnort in G., einer 5.000-Einwohnerstadt vor den Toren Berlins, ein Gemüsegeschäft aufgemacht, denn „von irgendwas mußten wir mit unseren Kindern ja leben“. Und was gibt es Unverfänglicheres, als Blumenkohl und Bananen — die jahrzehntelang so sehnlich begehrten — zu verkaufen?
Doch nach acht Monaten Selbständigkeit haben die Willmers innerlich aufgegeben. Ihr Geschäft werden sie zwar weiterführen — „falls man uns überhaupt noch läßt“, aber eigentlich haben sie resigniert: „Wir haben hier keine Zukunft. Es hat keinen Zweck, wir müssen weg von hier“ sagt Klaus Willmer und zerdrückt dabei einen nicht vorhandenen Floh zwischen seinen Fingernägeln, „als so was gelten wir hier“.
Den Sonntagnachmittag haben Willmer und seine Frau damit verbracht, die beiden Schaufenster ihres kleinen Obstgeschäftes zu putzen. Unübersehbar hatten Unbekannte dort nachts ihre Drohung quer über die Scheiben gesprüht: „Tod dem Stasi-Laden“ und „Stasi Raus!“. „Mein Freund, du Stasi-Sau wirst sterben“ stand mit Filzschreiber etwas kleiner darunter. Die Willmers haben die Parolen abgewischt und „nach außen hin ist alles wieder normal“. Zur Polizei gehen, Anzeige erstatten? Was soll das schon bringen und außerdem würden sie damit ja zeigen, daß ihnen die Schmierereien etwas ausmachen. „Und die Blöße wollen wir uns nicht geben“. Sich die Blöße geben, das hieße für Klaus Willmer auch zuzugeben, daß ihm, dem ehemaligen Stasi-Mann, die Tränen kommen, wenn er von den letzten Monaten berichtet. Und das hieße auch einzugestehen, daß seine Frau und er seit dem letzten Wochenende keine ruhige Nacht mehr hatten, „weil wir nicht wissen, ob morgens die Scheiben noch ganz sind. Dabei wollen wir doch nichts anderes als unsere Arbeit machen, unsere Kinder großziehen und in Ruhe gelassen werden.“
In Ruhe gelassen zu werden — das kann Klaus Willmer sicher nicht erwarten. Immerhin war er 15 Jahre lang bei der verhaßten Stasi tätig — wo genau, das will er auch heute nicht sagen: „Was ich dort gemacht habe, nehm‘ ich mit ins Grab. Das Kapitel ist für mich abgeschlossen“. Daß dieses Kapitel für andere noch lange nicht abgeschlossen ist, hätte Klaus Willmer nicht erst an den beschmierten Scheiben seines Gemüseladens erkennen können. Haß und Rachegelüste gegenüber der Stasi, kann er diese Gefühle nachvollziehen? Auf das Ministerium für Staatssicherheit als Ganzes bezogen, ja, aber auf sich persönlich gemünzt, nein. „Mit so was“ — das Wort Stasi kommt ihm heute schwer über die Lippen — will Willmer nie wieder was zu tun haben. Und die Frage nach persönlicher Schuld, die will er gar nicht erst zulassen. „Ich weiß hundertprozentig, daß ich kein Verbrecher bin. Meine Arbeit war gesetzlich abgesichert. Ich brauche kein Gericht zu scheuen“ — mehr ist dem ehemaligen Stasi-Offizier zu seiner beruflichen und politischen Vergangenheit nicht zu entlocken. Wo er arbeitete, danach hat ihn vor der Wende niemand gefragt — für die Kinder war „Pappi im Büro“. Auch heute fragt ihn niemand — jedenfalls nicht direkt, von Angesicht zu Angesicht. Stattdessen heimliche Denunziationen, Tuscheleien und an einem Sonntag nun die Schmierereien und Drohungen — auch sie deutlicher Ausdruck für die Unfähigkeit, mit der eigenen Vergangenheit umzugehen.
Dabei hatte es in ferner Vergangenheit so einfach geklungen, als Wolf Biermann von der Zukunft sang: „Kein Spitzel findet da Arbeit mehr, das gibt ein Arbeitslosenheer. Mensch ist das schön zu prophezein, so soll es sein, so soll es sein, so wird es sein!“ Aber was dann, wenn kein Spitzel mehr Arbeit findet, was soll so einer machen wie Klaus Willmer, der Jahre zu jung ist für den Vorruhestand, aber doch irgendetwas arbeiten muß, um sich und seine Familie durchzubringen? Zwei Tage vor dem legendären Sturm empörter Demonstranten auf die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße bekam Offizier Willmer die Order, innerhalb von zwei Stunden sein Büro zu räumen: „Wir wurden auf die Straße gesetzt wie kleine Babies, keiner kümmerte sich um uns. Da kommt man schon ins Grübeln, wofür man all die Jahre gearbeitet hat.“ Willmer bekam unmißverständliche Angebote von westlichen Geheimdiensten — und lehnte ab. Er meldete sich stattdessen beim örtlichen Arbeitsamt. In den Antragsbögen gab er wahrheitsgemäß seine alte Arbeitsstelle an und bekam nur noch „Drecksarbeiten zugewiesen“. Wenn er sich selbst irgendwo bewarb, war die freie Stelle plötzlich besetzt. Rosinen hatte er keine im Kopf und daß er kaum eine seiner Ausbildung angemessene Arbeit finden würde, war dem gelernten Flugzeugmechaniker klar. Eigentlich war er zu jeder Arbeit bereit, aber Kohlen zu schippen oder Koffer zu packen, das ging Klaus Willmer dann doch zu weit. Er lehnte einige Angebote ab und bekam vom Arbeitsamt das Geld gesperrt. Willmer fiel in der Not nicht viel Originelleres ein als vielen anderen DDR-Bürgern: einen Imbiß aufmachen. Die Standgenehmigung vom Rat der Gemeinde war erteilt, der Verkaufs- Container längst bestellt und ein Kredit fürs Lieferauto aufgenommen, da kam vierzehn Tage vor der Imbißeröffnung plötzlich die Absage von der Gemeinde. Die Willmers standen mit ihren Bestellungen und Krediten da und mußten „sich ganz schnell was einfallen lassen“. Karin Willmer, gelernte Diplomökonomin, brach das Babyjahr ab und stellte sich mit Bananenkisten auf die Straße — dorthin, wo man sie ließ, ganz ans Ende der kleinen Hauptstraße von G., wo kaum Laufkundschaft vorbeikommt. Im August konnte sie schließlich den kleinen Gemüseladen anmieten, in dem ihr Mann nun als ihr Angestellter, Transportarbeiter und Fahrer arbeitet.
Das Geschäft war noch gar nicht eröffnet, da hingen schon die ersten Zettel an der Tür „Stasi Sau!“. Dennoch lief der Verkauf zunächst gut an, denn bis heute stehen dort neben den frischen Südfrüchten überwiegend preiswerte DDR-Produkte in den Regalen. Doch immer öfter kamen Blicke und Fingerzeige von Passanten und die Tuscheleien „was, du kaufst Stasi-Bananen?“ waren nicht mehr zu überhören. Einem Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, so weiß Klaus Willmer, sei vom stellvertretenden Bürgermeister sogar verboten worden, mit ihm auf offener Straße zu sprechen. Zu dem heimlichen Gerede und den Denunziationen kamen Schikanen, bei denen schwer auszumachen ist, ob sie wirklich der früheren Stasi-Tätigkeit Klaus Willmers geschuldet sind: Da wurde der Mietvertrag für den Laden im gemeindeeigenen Haus nicht verlängert und der schon notariell beglaubigte Kaufvertrag für das winzige Einfamilienhaus unter Hinweis auf ungeklärte Eigentumsverhältnisse annulliert. All diese Dinge bewegen sich in einer undurchsichtigen Grauzone zwischen bewußter Schikane und normalem Behördenchaos. Die Schmierereien an der Schaufensterscheibe sind jedoch eindeutig und werden von den Willmers auch als Signal interpretiert: „Seit diesem Tag steht uns das Wort Stasi auf der Stirn geschrieben und irgendwann sind wir fällig.“ Die größte Sorge ist, daß „eines Tages mal der Kleine so ganz ,nebenbei‘ vom Rad gestoßen wird“. „Die Hexenjagd“, so glaubt der ehemalige Stasi-Bedienstete, „beginnt erst jetzt. Im letzten Jahr hatten die Leute mit der Währungsunion, der Wiedervereinigung und den Wahlen zu tun und waren euphorisch. Jetzt geht es nur noch bergab, und da brauchen die Leute einen Sündenbock.“
Vielleicht sind diese Befürchtungen übertrieben, denn bisher ist die gewalttätige Abrechnung mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern bis auf wenige Ausnahmen ausgeblieben. Doch allein die Angst davor reicht, daß die Willmers nun weg wollen aus G., irgendwohin in die Anonymität: „Die Leute hier“, so meint Klaus Willmer, „wollen einfach nicht in den Kopf kriegen, daß auch wir eine Daseinsberechtigung haben — ich meine als Menschen.“ Vera Gaserow
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