: Die Fluktuation in den inneren Räumen
■ Die Komponistin Adriana Hölszky im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek
Es steht eine Musik im Raum, die kommt irgendwoher und geht irgendwohin, und man ist froh, daß man mittendrin ist, sagte die Komponistin Adriana Hölszky. Am Donnerstag wurden sowohl Ausschnitte aus ihrem Werk als auch die Komponistin selbst in einer vom Musikfrauen e.V. initiierten Reihe im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek vorgestellt.
Es ist das erste Konzert mit Werken von Adriana Hölszky in Berlin. Als Geheimtip wird ihre Musik eher im süddeutschen Raum gehandelt. In Stuttgart wurde ihre Oper Bremer Freiheit mit Begeisterung aufgenommen und kommt wohl demnächst auch wieder auf den Spielplan. Bremer Freiheit ist eine Vertonung von Faßbinders gleichnamigem Stück. Wenn ihre Musik beschrieben wird, taucht erstaunlich oft das Wort »Hexenmusik« auf. Ein Label für die Musik der Komponistin, die ihre Vorliebe für das Schrille kaum leugnen kann.
Die vorgestellten Stücke Requisiten, Hörfenster für Franz Liszt, Flöten des Lichts oder ...und wieder dunkel bieten einiges aus dieser Klangpalette der hohen oder unmelodischen Töne. In dem Stück Requisiten für 9 Instrumentalisten werden die Streichinstrumente mit dem Bogen gesägt, die Blasinstrumente blasen ohne Töne, die Becken werden gestrichen. Nur dauert es eine Zeitlang, bis man es merkt. Die InstrumentalistInnen dürfen Musik machen. Die Instrumente sollen Geräusche machen. Manchmal auch melodische. Eine Art Ich-komme-schon- Geräusch und später eine Art Ich- war-schon-da-Geräusch. Bläser und StreicherInnen kommunizieren miteinander wie balzende Vögel. Die Bläser sind die Männchen. Klavier und Xylophon sind die Kommentierung. Später jedoch hat eine Verständigung schon nicht mehr stattgefunden.
Ihre Musik sei vom Zufall bestimmt, sagt die Komponistin, es sei ein Spiel, eine bildende Kunst. Nicht der Ablauf, das Lineare des Tones stehe im Vordergrund, sondern die Gleichzeitigkeit des Tonmaterials. Die Stücke seien einer Intarsienarbeit vergleichbar, wobei die einzelnen Klangfarben in der Isolation des Moments stehenblieben, der Abstand zum anschließenden Detail der Intarsienarbeit sei dabei die variable Größe.
Adriana Hölszky benutzt alles, was Geräusche machen kann, als Grundlage für ihre Musik. Humor und die Konsequenz, ein Stück bis über das Ende der Präsentation weiterzukomponieren, sogar auch die Laune des Spielers miteinzuplanen, kommen darin vor. Das Stück Hörfenster für Franz Liszt für einen Pianisten ist ein Beispiel dafür. Der Pianist spielt zwei Klaviere, eine kleine und eine große Trommel. Das erste Klavier ist mit Alufolie und anderem Abfall vollgestopft, es klingt daher wie ein Cembalo. DIe Komposition wirkt wie ein Testen des Klaviers. Als der Pianist endlich einen nicht barock klingenden Ton hört, hört er auf zu spielen und geht zum zweiten Klavier, neben dem die Trommeln stehen. Der Pianist bearbeitet Klavier und Trommeln abwechselnd. Dazu öffnet er den Mund zum Schreien. Der Pianist darf Töne machen mit der Stimme. Eine Pause einlegen geht auch. Verharren und weitergehen. In der Exstase die Tastatur und die Trommelfelle bearbeiten, dann aber wieder langsam werden. Die Aufmerksamkeit der Notenblattumdreherin, die sich an der raumumfassenden Dynamik des Pianisten vorbeikämpfen muß, um bis zu den Noten zu kommen, verleiht der Vorstellung Anmut. Das letzte Notenblatt fällt frühzeitig zu Boden. Der Pianist klappt den Klavierdeckel zu und spielt auf dem heruntergeklappten Deckel weiter.
Vor der Pause wird Adriana Hölszky von der Musikwissenschaftlerin Beatrix Borchard interviewt. Die Komponistin geht in der Intellektualität tonaler Wahrnehmungen auf. Sie redet von Klangfeldern und von inneren Räumen, die eine Fluktuation haben. Um eine möglichst große Klangpalette zu erreichen, verarbeitet sie auch die Klänge von Autofedern, Bratpfannen und Dachrinnen in ihren Kompositionen, wie in dem Stück ...und wieder dunkel. Sie atomisiert die Sprache, zerstört die Semantik und läßt die Musiker Wortfetzen schreien oder sprechen oder flüstern. Und genauso wie ihre Sätze oft akustisch unverständlich enden, genauso enden viele ihrer Stücke auf einem gehauchten Buchstaben oder einer nicht zu Ende gesprochenen Silbe eines Wortes. Waltraud Schwab
Das nächste Konzert in der Reihe Klangporträts findet am 5. April um 20 Uhr im Otto-Braun-Saal in der Staatsbibliothek statt.
Vorgestellt wird die Komponistin Jacqueline Fontyn.
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