: Zehn Quadratmeter Deutschland
■ Wie Vietnamesen in Ost-Berlin leben müssen/ Aus Angst ziehen sie sich immer mehr zurück
Berlin. Wer den Weg in die Friedrichsfelder Hans-Loch-Straße findet, kann erahnen, wie VietnamesInnen in Ost-Berlin leben. Zwei Busstationen vom U-Bahnhof Tierpark entfernt gelangt man in eine triste Schlafstadt, dominiert von der realsozialistischen Plattenbau-Architektur. Nur eine Imbißbude durchbricht die Gleichförmigkeit dieses Viertels.
In einem grauen Wohnheim leben rund 200 Frauen und Männer aus Vietnam und Kuba auf engstem Raum zusammen. Darunter sind, seit Ende Januar, Tran Thi Hai An (32) und Nguyen Thi Hai Thu (30) mit vier weiteren KollegInnen in einer Drei-Zimmer-Wohnung.
Vor vier Jahren sind die beiden Freundinnen Hai An und Hai Thu im Rahmen des zwischen der DDR und Vietnam vereinbarten Wirtschaftsabkommens nach Ost-Berlin gekommen. Beide hoffen bis zum Auslaufen des Vertrages, das heißt, noch ein bis zwei Jahre, in Deutschland bleiben zu können. Denn von hier aus haben sie zumindest die Möglichkeit, ihre Familien finanziell zu unterstützen. Aber mit dem Arbeitslosengeld von 500 Mark pro Monat, das Hai Thu seit ihrer Entlassung erhält, schafft sie das kaum noch. »Ich hoffe, irgendeine Arbeit zu finden. Nur so kann ich meiner Familie helfen«, meint sie.
Der für VietnamesInnen zuständige Berliner Ausländerbeauftragte Nguyen van Huong fürchtet, daß das für Hai An kaum möglich sein wird, »weil VietnamesInnen keine uneingeschränkte Arbeiterlaubnis besitzen«. Als Näherin für einen monatlichen Lohn von 1.000 Mark ist Hai An deutlich privilegiert. Zur Zeit sind nur 358 VietnamesInnen in Ost- Berlin berufstätig. Aber auch deren Zukunft liegt im Ungewissen.
Hai An bewohnt ein Zimmer für sich alleine — es ist zu klein für zwei. Ihr Refugium hat sie bescheiden eingerichtet: ein Bett, ein Tisch, ein Kassettenrekorder. Der Fernseher läuft ständig. Für die zehn Quadratmeter bezahlt sie 150 Mark und muß sich das Bad und die Stehküche mit ihren MitbewohnerInnen teilen. Im Schlaf- und Wohnzimmer wird gelebt, gegessen, ferngesehen.
Ihre KollegInnen haben nicht so viel Glück. Sie müssen sich zu zweit oder zu dritt ein enges Zimmer teilen. »Dies entspricht den Bedürfnissen des Gemeinschaftslebens der VietnamesInnen«, versichert Frau Sohlich von der Arbeitnehmer-Wohnungsbauten-Gesellschaft mbH (ArWoGe). »Außerdem zahlen sie dadurch ein geringere Miete.«
Die noch in Marzahn, Lichtenberg und Hohenschönhausen verbliebenen 1.629 VietnamesInnen befinden sich in einer prekären Wohnsituation. Fast alle sind in Wohnheimen der ArWoGe untergebracht. Im Rahmen des Wirtschaftsabkommens ist die ArWoGe nicht verpflichtet, VietnamesInnen nach ihrer Entlassung weiterhin Wohnraum bereitzustellen.
Trotzdem gelang es Nguyen van Huong im Februar, eine Zusicherung von der ArWoGe zu erhalten, arbeitslose VietnamesInnen — zur Zeit sind es in Ost-Berlin 550 — bis zum Ende des Jahres nicht auf die Straße zu setzen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Behörde des Ausländerbeauftragten, eine definitive Regelung über den Verbleib arbeitsloser VietnamesInnen im neuen Jahr zu finden.
Hai An und Hai Thu planen ihre Rückkehr nach Vietnam: »Vietnam bleibt unsere Heimat.« In Ostdeutschland fühlen sie sich seit der Wende immer unwohler. Nachts trauen sie sich aus Angst, belästigt zu werden, nicht auf die Straße. Erst am 6. März wurde ein Vietnamese direkt vor seiner Tür in der Gehrenseestraße von Skinheads zusammengeschlagen. Nguyen van Huong erkennt, daß sich die Ausländerfeindlichkeit als »Volksport« zu »institutionalisieren« beginnt.
Die verunsicherte vietnamesische Gemeinschaft zieht sich immer mehr zurück. Hai Thu und Hai An haben keine deutschen Freunde, trotzdem versucht Hai Thu, zwei Stunden täglich Deutsch zu lernen. »Sie ist meine Dolmetscherin«, sagt Hai An lachend. Aber auch Hai Thu hat noch immer große Schwierigkeiten, deutsche Zeitungen zu lesen. Was sie allerdings am stärkstem vermißt, ist die Möglichkeit, Literatur auf Vietnamesisch zu bekommen. Hanh Trinh-Lukas Philippi
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen