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Wirtschaftlich bleibt Namibia von Südafrika abhängig

Die ehemalige Kolonialmacht stellt Zahlungsforderungen und rückt den einzigen Tiefseehafen nicht heraus/ Auslandsinvestitionen nirgendwo in Sicht  ■ Aus Windhuk Willi Germund

„Die Probleme, die wir haben,“ sagt Clive Algar, Manager von „Rössing Uranium Limited“ in Namibia, „haben mit der Regierung nichts zu tun“. Welch größeren Lobgesang könnten Privatunternehmer auf eine Regierung anstimmen, deren Vertreter während der Jahre der Befreiungsbewegung den Sozialismus hofierten? Anton von Wietersheim, Vize-Minister für Handel und Industrie, deutschstämmig, Besitzer einer Farm und Mitglied der regierenden Swapo, gibt das Kompliment postwendend zurück: „Die großen Firmen versuchen nicht, die wirtschaftliche Entwicklung zu torpedieren. Sie halten sich nicht wegen uns zurück, sondern weil die Weltkonjunktur ihnen das diktiert.“

Seit einem Jahr regiert in Afrikas jüngstem Staat die Befreiungsbewegung Swapo; und wohl selten liegen sich eine linskgerichtete Regierung und die Großunternehmer des Landes so innig in den Armen wie in Namibia. Freilich: Die kleineren und mittelgroßen Unternehmen und vor allem die weißen Farmer zeigen sich weiter unnahbar.

Namibia hat nicht nur deshalb große wirtschaftliche Probleme. Mit der Unabhängigkeit drehte die ehemalige Besatzungsmacht Südafrika den Geldhahn zu. Während andere Kolonialmächte nach ihrem Abzug aus Afrika zumindest die moralische Verpflichtung entdeckten, finanziell wenigstens etwas zu helfen, steht das Apartheid-Regime in Pretoria auf einem völlig anderen Standpunkt. Im Gegenteil müsse Namibia, so die Rechnung Südafrikas, 700 Millionen Rand (etwa 466,6 Millionen Mark) an Schulden zurückzahlen — das wären etwa 13 Prozent von Namibias Bruttosozialprodukt.

Nach 25jähriger deutscher „Schutzherrschaft“ und 75jähriger südafrikanischer Annexion samt wirtschaftlicher Ausbeutung bleibt der Swapo-Regierung freilich kaum eine Wahl. Denn Namibia ist wirtschaftlich weiter an den Nachbarn gebunden und wird auch in Zukunft auf „gutnachbarschaftliche“ Beziehungen angewiesen sein. Deshalb zahlt Namibia trotzdem — obwohl es die Zahlungsforderungen Pretorias nicht anerkennt. Im letzten Jahr gingen so etwa zehn Prozent der Exporteinnahmen verloren.

Zudem weigert sich Südafrika bis jetzt, Namibias einzigen Tiefseehafen Walvisbay herauszurücken. Afrikas jüngster Staat aber braucht den Hafen dringend. „Dann könnten wir als Exporthafen für Staaten wie Simbabwe, Sambia und Botswana dienen“, sagt Vize-Minister Wietersheim. Vorerst ist dies aber ebenso Zukunftsmusik wie ein verstärkter Handel mit dem nördlichen Nachbarland Angola. Zwar gelangen bereits viele Waren über die Grenze Richtung Norden, doch meistens handelt es sich dabei um gestohlene Güter.

Wietersheim hat erkannt, daß Namibia vor allem seines eigenen Glückes Schmied ist: „Wir müssen uns sehr um Hilfe und Investitionen bemühen, damit wir nicht vergessen werden.“ So kamen zum Jahrestag der Unabhängigkeit gerade mal 400 Millionen Mark zusammen.

Viel Geld kostet Namibia auch der Küstenschutz. Just auf diesem Gebiet mußte das afrikanische Land unlängst die harten Bandagen des internationalen Konkurrenzkampfes kennenlernen. Ein spanischer Kapitän weigerte sich tagelang, einen namibischen Hafen anzulaufen, nachdem er beim illegalen Fischen in der 200-Meilen-Zone erwischt wurde. Der fischreiche Benguela-Strom vor der Atlantikküste zieht Fischtrawler aus der ganzen Welt an. Weil aber während der letzten Jahre ohne jede Regulierung gefangen wurde, was die Netze hielten, muß Namibia die Fischbestände zunächst schonen.

Auch auf der Seite der Steuereinnahmen sieht es düster aus für das Land. Rössing, die größte Uran- Mine der Welt, drosselt wegen fallender Weltmarktpreise die Produktion von 3.700 Tonnen auf knapp 3.000 Tonnen. Die Folge für Namibia: um 40 Millionen Mark verminderte Steuereinnahmen.

Dabei wäre das Land dringend auf das Geld angewiesen. Denn mit der Unabhängigkeit sind die Hoffnungen auf sozialen Ausgleich gestiegen. Sechs Prozent der Bevölkerung (fünf Prozent sind Weiße, ein Prozent Mitglieder der schwarzen Elite) produzieren pro Kopf jährlich 16.500 US-Dollar an Bruttosozialprodukt. Weitere 39 Prozent produzieren jährlich 750 US-Dollar. Die restlichen 55 Prozent produzieren jährlich dagegen nur 85 Dollar — vor allem mit Subsistenzlandwirtschaft.

In den Lehrergewerkschaften rumort es, weil nach einem Jahr Unabhängigkeit noch nichts zur Verbesserung des Bildungssystems geschehen ist. So gab Südafrikas Regime in Namibias Hauptstadt Windhuk mit 3.200 Rand zehnmal mehr pro Schüler aus als im entlegenen Ovamboland (320 Rand pro Schüler).

Namibias Regierung hofft, die ungleichen Strukturen mit Auslandsinvestitionen aufbrechen zu können. Vize-Minister Wietersheim ist sich bewußt, daß sein Land nicht das einzige ist, das um solches Kapital kämpft. Aber er ist optimistisch: „Wir müssen eben versuchen, mit Steuervorteilen Investitionen anzulocken.“ Er hofft, gleichzeitig die Investoren auch zu bestimmten Standorten überreden können. Potential, da sind sich alle Beteiligten einig, besitzt Namibia vor allem im Mineraliensektor. So will Rössing, an der über die deutsche Urangesellschaft die Metallgesellschaft beteiligt ist, in diesem Jahr ein Pilotprojekt mit neuentdeckten Graphitvorkommen starten.

Doch wie schwierig Namibias Position ist, muß selbst der weltgewandte Manager Clive Algar von der Rössing Uranium Limited im Umgang mit seinen Kollegen erkennen. Wenn er in den USA oder Europa auf Kundensuche ist, überreicht Algar als erstes einen Hochglanzprospekt über Land und Leute: „Wir haben festgestellt, daß wir erst einmal erklären müssen, wo Namibia liegt.“

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