: Ein neues Müllzentrum für 12 Millionen Menschen
Westlich von Berlin werden Kunststoff-Recycling und Abfallverbrennung geplant/ RWE-Entsorger: Letzte Chance gegen den Umweltminister ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) — Recycling, auch das von Kunststoffmüll, kann ein einträgliches Geschäft sein — wenn nur die an einem Ort aufgehäufte Menge groß genug ist. Prinzipiell sind sich in diesem Glaubenssatz Kunststoffindustrie, Entsorgungswirtschaft, Recycling-Forscher und die um ihr Überleben bangende Chemieindustrie in der ehemaligen DDR einig. Die Verbeugung vor dem Diktat der ganz großen Müllberge soll im brandenburgischen Premnitz stattfinden.
Dort, 60 Kilomter westlich des Ballungszentrums Berlin, wird derzeit ein riesiges Abfallentsorgungszentrum projektiert, in dem einmal eine vielfältige Palette von Kunststoff- und anderem Wohlstandsmüll gesammelt, sortiert, recycelt und wiederverarbeitet werden soll. Der Rest — und die Planer aus Wirtschaft und Wissenschaft hüten sich vor Prognosen über seine Größenordnung — geht in die Müllverbrennung.
Ausgangs- und Bezugspunkt für das Müllzentrum, das die wunderbare Bezeichnung „Integrierter Kunstoff-Recycling-Industriepark“ trägt und federführend vom Kunststofftechnikum der TU Berlin unter seinem Leiter Helmut Käufer konzipiert wurde, ist wiederum ein anderes Großprojekt: ein „Abfallentsorgungszentrum“, das von der Entsorgungs-Tochter des westdeutschen Stromriesen RWE in Döberitz, drei Kilometer von Premnitz, vorbereitet wird.
Mit ökologischen Allgemeinplätzen — „Produktion und Entsorgung müssen in Zukunft enger zusammenrücken“ — umgarnte Ende vergangener Woche anläßlich einer Kunststoff-Recycling-Tagung an der TU Berlin der RWE-Entsorger Bewerunge sein Publikum. Tatsächlich hat der vor Jahren ins Müllgeschäft eingestiegene Essener Stromkonzern sein Engagement in Döberitz knallhart kalkuliert. Spekuliert wird auf die weitgehend intakte Infrastruktur eines 60 Hektar großen Industrieareals, das die heutige Märkische Faser AG noch bis nach der Wende zur Produktion von Schwefelsäure nutzte. Die Verkehrsanbindung über Straße, Schiene und Wasser ist nahezu optimal. Vor allem jedoch liegt der Standort nahe an Berlin. Brandenburg, Sachsen und Teile Sachsen-Anhalts werden nach den Vorstellungen der Entsorgungsplaner ebenfalls für einen steten Abfallstrom in das Müllzentrum sorgen: Das Einzugsgebiet umfaßt insgesamt 12 Millionen Menschen.
In drei Aufbauphasen, berichtete Bewerunge, soll das Entsorgungszentrum Döberitz hochgezogen werden. Angefangen habe man bereits mit der Sammlung von Kühlschränken, ab Ende 1991 sollen aus ihnen und aus anderen Wohlstandsrückständen „Wertstoffe“ zurückgewonnen werden. Zwei Jahre später soll die schwierige Altölentsorgung und das Kunststoffrecycling beginnen. In einer zweiten Phase plant die RWE- Entsorgung eine Kompostanlage. Erst danach sollen die Anwohner allmählich die Kröten schlucken, die sie erfahrungsgemäß nicht so sehr mögen: Ein Zwischenlager für „besonders zu behandelnde Abfälle“, eine Altlastenaufbereitungsanlage und schließlich „nach 1995“ das dicke Ende — ein Müllverbrennungsofen, der bei Bewerunge selbstredend „thermische Behandlungsanlage“ heißt. Daran führe kein Weg vorbei, betont der RWE-Mann und läßt keinen Zweifel daran, daß dort alles landen wird, was bei der Wiederverwertung keine Rendite verspricht.
Das Kunststoffrecycling, versichert Bewerunge, sei „angedacht“ und, auf die konkrete Nachfrage nach der Behandlung von Styroporabfällen, es gebe „gewisse Vorstellungen, die wir angehen wollen“. Letztlich soll der „Kunstoff-Recycling-Industriepark“ auf dem ebenfalls größtenteils verwaisten 170-Hektar-Gelände der Märkischen Faser AG in Premnitz — „im Dunstkreis“ (Bewerunge) des RWE- Müllzentrums — diesen Part übernehmen.
TU-Professor Käufer nun trommelt unermüdlich für diese Idee und verspricht dafür die Rettung des Chemiestandortes Premnitz. Die deprimierenden wirtschaftlichen und technischen Ergebnisse der wenigen bisherigen Versuche zur industriellen Kunststoffwiederaufarbeitung sollen mit der in Premnitz verfolgten Konzeption überwunden werden. Die sieht im Kern vor, daß insgesamt etwa 30 bis 50 kleine und mittlere Recycling-Betriebe von einer zentralen Sortieranlage aus mit bestimmten Kunststoffprodukten aus dem antransportierten Plastikmüll versorgt werden. Die weitverbreitete Skepsis der Abnehmer aus der Chemieindustrie gegenüber den verunreinigten und in ihrer Zusanmmensetzung nicht genau definierten Recyklaten soll mit einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle überwunden werden. Entsprechende Laborkapazitäten seien in Premnitz bei der Märkischen Faser zur Genüge vorhanden, meinen Käufer und seine Mitstreiter. Und deshalb hoffe man auch auf die Ansiedlung solcher Betriebe, die Kunststoffe, wiederaufgearbeitete oder frische, weiterverarbeiten.
Schon 1992, glaubt Käufers Mitarbeiter Daniel Stricker, könnten 50.000 Tonnen Kunststoffmüll aus Privathaushalten und 5.000 Tonnen aus Produktionsabfällen in Premnitz verarbeitet werden, für 1995 rechnet er bereits mit 155.000 bzw. 20.000 Tonnen. Bis 1997 würden, so die Wunschvorstellung, etwa 1.500 Arbeitsplätze entstehen.
Wie realistisch derartige Zahlenspiele sind, ist derzeit kaum abzusehen. Skepsis scheint geboten, nicht nur wegen des zu erwartenden Rattenschwanzes an ökologischen Risiken angesichts einer beispiellosen Ansammlung problematischer Stoffe. Wirtschaftlich scheint derzeit allenfalls das sogenannte Produktrecycling oder die Wiederverwertung einigermaßen „sortenrein“ anfallender Abfälle aus der Chemieproduktion. Verschmutzte Kunststoffcocktails, wie sie im Haushalt üblicherweise anfallen, lassen sich in ausreichender Qualität entweder gar nicht oder (noch) nicht wirtschaftlich wiederverwerten. Was bleibt, ist die Verbrennung.
Käufer gesteht eine weitere Leerstelle in seinem Konzept: Heute wisse niemand, wie der Kunststoffmüll von 12 Millionen Menschen einigermaßen kostengünstig nach Premnitz gelangen soll. Schon denkt man über dezentrale Sammel- und Shredderanlagen nach, von denen aus der volumenreduzierte Müll mit Schiffen über die Havel zum Recyclingzentrum geschafft wird.
Trotz allem könnte am Ende die verzweifelte Suche nach ansiedlungswilligen Betrieben aus der Branche von Erfolg gekrönt sein. Nicht, weil die Chemiebranche die Ökologie entdeckt hat, auch nicht, weil für Recyclingbetriebe in Premnitz kräftige staatliche Investitionszulagen um die 40 Prozent winken. Vielmehr betrachtet die Kunststoffbranche die von Bundesumweltminister Töpfer forcierte Rücknahmepflicht verbrauchter Produkte von der Plastikverpackung bis zum Auto zunehmend als das kleinere Übel. Dies zu akzeptieren, meinte RWE- Entsorger Bewerunge in Berlin, sei für die Branche die „letzte Chance“, mit der Müllflut auf „marktwirtschaftliche Weise umzugehen“. Ansonsten werde „der Gesetzgeber mit seiner vollen Kraft über uns kommen“. Und das heißt: Müllvermeidung, Stoffverbote, Produktionseinbußen.
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