Der Aprilscherz — Geld ist da, keiner der schiebt

■ Ein halbes Jahr nach der „Einheit“ wartet der Neubundesbürger auf den Investitionsschub/ Ihm geht dabei die Zuversicht aus

Berlin. Die Bürger der Ex-DDR warten seit über einem Jahr auf den angekündigten Investitionsschub im Osten. Zunächst war er von den regierenden Politikern mit dem 18.März 1990 in Verbindung gebracht worden, als die ersten freien Wahlen ein wichtiges Signal für Marktwirtschaft und Wohlstand bringen sollten. Dann war es der 1.Juli und die die Währungsunion als Motor für Betriebsgründungen und Unternehmensengangement.

Es folgten die Vereinigung — genau vor einem halben Jahr am 3. Oktober — und die gesamtdeutschen Wahlen am 2. Dezember. Doch auch Mitglieder der Bundesregierung räumen unterdessen ein, daß Investitionen größeren Stils weiter auf sich warten lassen. Wirtschaftsinstitute legten das mögliche Ende der Talsohle erst auf Mitte 1990, dann auf Ende 1991. Heute werden 1992, 1993 oder noch später genannt. Etliche Wirtschaftler und Politiker konstatieren, daß nun dank zusätzlicher Milliardenspritzen (Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost) aus Bonn genügend Geld da ist, und mit neuen Gesetzen Investitionshemnissen, insbesondere bei der leidigen Eigentumsfrage, der Kampf angesagt wurde.

Zuversicht und Selbstbewußtsein, wichtige Tugenden im Osten nach dem Fall der Mauer, sind angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und weiterer Massenentlassungen heute aber eher auf dem Tiefpunkt. Die beginnende Mutlosigkeit vieler Ostdeutscher und der weiterhin schwerfällige Verwaltungsapparat gelten als nicht zu unterschätzende Negativpunkte für den erhofften Aufschwung. „Die Frauen und Männer in Ostdeutschland gingen 1989 nicht auf die Straße, um 1991 auf die Straße zu fliegen“, stellt Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) fest und spricht den „Ossis“ aus dem Herzen.

Die Wirtschaftszahlen sind mehr als ernüchternd. Weitere soziale Konflikte und Proteste scheinen programmiert.

Der Ostarbeitsmarkt ist weiter auf Talfahrt. Im März waren voraussichtlich 820.000 Menschen ohne Job und über zwei Millionen arbeiteten kurz. Jeder dritte Bürger, der voll arbeiten könnte, hat heute keinen oder nur einen Teilzeitjob.

Gewerkschafter befürchten, daß im Sommer, wenn der Kündigungsschutz abgebaut ist und im Verwaltungsapparat Massenentlassungen ins Haus stehen, sogar jeder zweite Ex-DDRler ohne ausreichende Arbeit ist. Es fehlen zudem Zehntausende von Lehrstellen. Die Abwanderung in Richtung Westen, vor allem bei jungen Leuten, geht weiter. Vier von fünf Ost-Unternehmen rechnen mit einem weiteren Personalabbau.

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) mahnt die Ostdeutschen angesichts zunehmender Straßenproteste zur Geduld. Er betont, daß ein 40 Jahre lang verrottetes Wirtschaftssystem nicht in wenigen Monaten auf Vordermann gebracht werden kann. Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat die Großunternehmen gemahnt, sie müßten ihre gesamtwirtschaftliche Verantwortung erkennen und hätten eine Art Investitionspflicht im Osten. Milliardenausgaben wie von Daimler-Benz in ein Lkw-Werk in Ludwigsfelde (Brandenburg) sind eher die Ausnahme. Manager und Unternehmer — diese Erfahrung müssen nun die Ostdeutschen machen — kümmern sich in einer Marktwirtschaft weniger um Bitten und Appelle als vielmehr um ertragreiche Investitionen. Sie waren es zuletzt oft leid, wenn Grundstücksstreitigkeiten kein Ende nahmen und die Ost-Bürokratie völlig überfordert war.

Außerdem klagten sie über Lohnforderungen, die mit der Produktivität bei weitem nicht Schritt hielten. Den Buhmann für viele bildet die Treuhandanstalt, die nun verstärkt Möglichkeiten zur Sanierung ausschöpfen soll. Ganz allmählich gibt es aber auch optimistische Äußerungen von Ministern der neuen Länder und einige positive Daten. So meldete die Industrie- und Handelskammern (IHK) einen verstärkten Anstieg von Betriebsgründungen. Bernd Kubisch, dpa