: BUND unterstützt „Grüne Lunge Polens“
Deutsch-polnische Kooperation der Umweltschützer zum Erhalt einer einmaligen Naturlandschaft im Nordosten Polens/ Ziel der Zusammenarbeit ist der Aufbau einer ökologischen Wirtschaft ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
„Es wäre ein Skandal, wenn die reiche Welt es nicht schaffen könnte, diese Schätze zu bewahren“, beschwört Lutz Ribbe, stellvertretender Geschäftsführer des „Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland“ (BUND), die vereinbarte deutsch-polnische Umweltkooperation für das Projekt „Grüne Lunge Polens“. Bei dem in Nürnberg vorgestellten Projekt geht es, so Ribbe, nicht um „traditionellen Naturschutz“, sondern um die „Realisierung einer Wirtschaft, die Umweltkosten bereits miteinbezieht“ — und das in einem Gebiet, das zwei Drittel der Fläche von Bayern umfaßt.
Wie alle anderen ehemaligen Ostblockstaaten kann Polen mit einer Fülle von Horrormeldungen bezüglich Umweltverschmutzung aufwarten. 11 Prozent der Landesfläche sind von der Regierung zu ökologischen Krisengebieten erklärt worden, die mittlere Dauer der Schwangerschaft ist in der Region um Krakow aufgrund von Schwermetallvergiftungen auf 8,1 Monate gesunken. Bei unveränderten Bedingungen werden 55 Prozent der Wälder in Polen bis zum Ende dieses Jahrhunderts vernichtet sein, in ganz Polen gibt es keine einzige Entschwefelungsanlage und kaum eine funktionierende Kläranlage.
Doch Krzystof Wolfram, Leiter der polnischen Umweltschutzstiftung „national foundation for environmental protection“ (nfep), legt Wert auf die Feststellung, daß Polens Umwelt auch ein zweites Gesicht hat: Im Nordosten des Landes ist noch eine „europaweit einmalige Vielfalt an Naturlandschaften erhalten“ geblieben. In dem Gebiet, das u.a. auch die Masurische Seenplatte umfaßt, gibt es Urwälder und eines der letzten lebenden europäischen Sumpfgebiete. Wisente sind in dieser „grünen Lunge Polens“ ebenso zu Hause wie Biber, Wölfe, Luchse und 230 verschiedene Brutvogelarten — 60% der europäischen Bestände.
Das entscheidende Plus der 45.000 Quadratkilometer großen Region um Bialystok, in der nur 2,6 Millionen Menschen leben, ist der geringe Grad der Urbanisierung und der Industrialisierung. Für nfep bildet der „außergewöhnliche Wert dieser Region“ vor dem Hintergrund der fortschreitenden Zerstörung der Umwelt Polens den Ausgangspunkt für eine intensive Suche nach Wegen und Methoden eines „wirksamen Schutzes der wertvollsten Naturobjekte“. Traditionelle Methoden wie die Ausweisung von begrenzten Naturschutzgebieten genügen hier nicht. nfep hat sich den Schutz der gesamten Region zum Ziel gesetzt: Die „grüne Lunge Polens“ soll zum größten Naturschutzkomplex Europas werden.
Schon 1988 wurden mit den damaligen kommunistischen Woiwodschaftsbehörden entsprechende Verträge unterzeichnet. Für Wolfram war dies ein erster Schritt, mit dem der Ökologie Vorrang vor der Ökonomie eingeräumt wurde. Nach der Bestandsaufnahme der Region wollen die polnischen Umweltschützer jetzt Wirtschaftsentwicklungskonzepte für die Gesamtfläche erarbeiten. Hierzu zählen insbesondere Entwicklungsprojekte für ökologische Landwirtschaft und „sanften Tourismus“. Ende 1992 sollen die entsprechenden Raumordnungspläne vorliegen — wenn die Gelder vorhanden sind.
Die Mittel der nfep reichen dazu bei weitem nicht. Die Stiftung hat bislang 28 Firmen gegründet, vom Optikgerätehersteller bis zu landschaftsgärtnerischen Betrieben. Vom Reingewinn sollte dann, so das Modell, die Stiftungsarbeit finanziert werden. Im letzten Jahr blieben unter dem Strich knapp 250.000 DM für ökologische Projekte übrig. Für die Realisierung des Projekts „Grüne Lunge Polens“ jedoch sind etliche Milliarden nötig.
Der BUND will nun den polnischen Umweltschützern insbesondere bei der Erschließung finanzieller Quellen behiflich sein. Hubert Weiger denkt dabei nicht nur an die 35 Millionen DM, die die Umweltschutzorganisation Greenpeace angelegt hat. Umweltministerium, das Auswärtige Amt, die EG und die Weltbank müßten helfen, das Projekt „Grüne Lunge Polens“ voranzutreiben, fordert Weiger. Schließlich sei das Gebiet für „die genetische Vielfalt in Mitteleuropa genauso wichtig wie die tropischen Regenwälder für die ganze Welt“.
Doch die genannten Quellen sprudeln nicht. Angesichts der Kosten für die Ex-DDR, so Weiger, würden Polen und die CSFR finanziell völlig vergessen. Zusammen mit Ribbe kritisiert er insbesondere die „leeren Versprechungen“, die Kanzler Kohl und Umweltminister Töpfer bei der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages am 9. November 1989 abgegeben hätten. Weiger ist empört, daß die Öffnung der Grenzen nur mißbraucht würde, um „all die verhängnisvollen Irrwege der westlichen Industriegesellschaft nahtlos in den Osten zu exportieren“. Ribbe wirft der EG vor, ebenfalls in die falsche Richtung zu steuern. So bekam Polen als Wirtschaftshilfe 100 Millionen DM für Pestizide, die teilweise in der Bundesrepublik verboten sind.
Doch BUND und nfep wollen sich nicht entmutigen lassen auf ihrem Weg, dem „europäischen Haus ein ökologisches Fundament“ (Weiger) zu bauen. Als ersten Schritt zum Erhalt der „grünen Lunge Polens“ soll noch Ende 1991 eine deutsch-polnische Umweltbegegnungsstätte mit angeschlossenem Informationsbüro in Bialystok eröffnet werden. Dort sollen dann die Grundlagen des ökologischen Landbaus vermittelt und zugleich die Schattenseiten des „goldenen Westens“ thematisiert werden.
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