Die Rohstoff-Müll-Connection

■ Waldo Biens Forschungsgepäck im Künstlerhaus Bethanien

An die Fotografien eines reisenden Forschers vom Ende des letzten Jahrhunderts, der die quer durch den Dschungel geschleppten Platten nicht gegen die Unbill des Klimas schützen konnte, erinnert die Serie Numeri des niederländischen Künstlers Waldo Bien. Mit Silbergelatine hat er große Plexiglasscheiben zu lichtempfindlichen Bildträgern gemacht, deren silbergrauweißen Ton darüberfließendes Walfischöl warm und honiggelb färbt. In negativer Belichtung erscheinen vor Landschaftsrudimenten einer üppigen Vegetation neun geisterhafte Selbstportraits, in denen Bien sich mit wechselnden Kopfbedeckungen inszeniert: in zerfetzter Fliegerkappe, Federbusch, Bananenkrone, Narrenkappe und turbanähnlichem Aufbau spielt er Forschungsobjekt auf einer ethnologischen Bühne. Alte Stative, Werkzeug des Landvermessers und des Fotografen, erinnern zwischen den Bildern an die Parallelität der ideologischen und ökonomischen Kolonialiserung.

Die Serie Numeri ist Teil der Ergebnisse einer afrikanischen Reise, die Bien in kunstvoller Form aufbereitet. Er folgt den Spuren des Tauschs von Rohstoffen gegen Müll. Schon in der fotografischen Serie verweisen Silbergelatine und Walfischöl, die Bien als elementare Energieträger und rohe Mittel benutzt, auf die natürlichen Ressourcen als Basis von Kunst und Industrie. Daß er die Bilder mit flachgehämmerten Streifen von farbigem Tonnenblech rahmt, das von nach Afrika exportierten Giftmüllfässern stammt, unterstreicht die Eindimensionalität des Austausches. Mit diesen Blechen führt er einen Teil des europäischen Drecks zurück an den Ort seiner Produktion. Damit faßt er auch die 14 Leinwände ein, die er mit verschiedenfarbigem Nilquellensediment aus einer Grabungsstelle im zentralafrikanischen Fret de Nyungwe bemalt hat. Die Farben sind ein Zufallsfund aus dem Herzen des Kontinents; entdeckt wurden diese Ablagerungen auf der vergeblichen Suche nach Gold. Bien liest in den rötlichen, braunen, ockerfarbenen, grüngrauen, beigen und schwärzlichen Schichten produktive Erdgeschichte, die sich auch in die Zukunft verlängern kann.

Er will in dieser Erdalteruhr den Aspekten der Ausbeutung und Zerstörung mit einer ästhetischen Utopie antworten. Kunst dient ihm als Form von Erkenntnis ohne materielle Verwertung. Der Künstler als Reisender versucht der kommerziellen und euphemistisch gefärbten Fiktion der Verbundenheit mit der Welt, wie sie in Werbeslogans à la »Come together« ausgebreitet wird, eine spröde Vision des bewußten und verantwortungsvollen Umgangs entgegenzuhalten.

Die afrikanische Plastik eines mehrgesichtigen Rüsselkopfes hat Bien auf einem Stativ wie das Modell des Planeten Saturn in einen Ring eingebaut. In einem kleinen Gipsschädel stecken Glasröhrchen mit den Mineralien aus dem Herzen des Kontinents. Auf einem Giftfaß liegt ein Totenschädel, dessen einzelne Knochen wie eine Landkarte Afrikas beschriftet sind. Ein Klumpen wächserner Tieridole hängt unter einer Glasplatte und erinnert an ein Organ. Ebenso wirkt ein Stein, an dem Generationen afrikanischer Männer Messer und Speere schärften, zerfurcht wie ein Gehirn, in das sich Intelligenz als Spur generationenfach wiederholter Handgriffe eingeschliffen hat. In all diesen Objekten spiegeln menschliche Organe eine zu unserem Wissen alternative Form von Erinnerung über die eigene Herkunft, Geschichte, die Beschaffenheit der Erde und des Universums.

Trotz seiner Kritik am eurozentrischen Weltbild setzt Bien auf merkwürdige Weise eine Traditon der christlich-europäischen Kultur fort. Wie einst die Händler findet er im fremden Kontinent den Rohstoff seiner Produktivität. Er führt mit sparsamen Gesten einen heiligen Tanz um die Fragmente des Verlorenen auf; der ausgebeutete Kontinent fungiert als sein Gekreuzigter, dessen Wundmale er vorzeigt. Katrin Bettina Müller

Waldo Bien: Numeri im StudioI des Künstlerhauses Bethanien, bis zum 14. April, täglich außer montags 14-19 Uhr.