: Zwietracht
■ Der kroatisch-serbische Konflikt hat sich mit den Schüssen von Plitvice verschärft
Zwietracht Der kroatisch-serbische Konflikt hat sich mit den Schüssen von Plitvice verschärft
Das Scharmützel ist schon da. Der Krieg kann folgen. Die Spannungen zwischen Serben und Kroaten sind in den letzten Tagen unerträglich verschärft worden. Der Kampf um das Touristenzentrum Plitvice, das in einer mehrheitlich von Serben bewohnten Region innerhalb Kroatiens liegt, die als „Autonome Region Krajina“ die kroatische Oberhoheit nicht mehr anerkennt, ist vielleicht schon der berühmte Funken in dem balkanischen Pulverfaß. Denn die kroatische Regierung kann — von ihrem Standpunkt aus zu Recht — nicht tatenlos zusehen, wie in der Hauptstadt Krajinas, in Knin, vollendete Tatsachen geschaffen werden. Es geht um nichts weniger als der Existenz der kroatischen Republik in ihren bisherigen Grenzen.
Andererseits ist auch die Argumentation der serbischen Führung und Opposition — in diesem Punkt sind sie sich einig — nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn Jugoslawien schon aufgrund der Unabhängigkeitserklärungen von Kroatien und Slowenien zerfällt, dann müßten die Serben in einem Staat zusammenleben können. Angesichts der serbischen Minderheiten in Kroatien ( über 20 Prozent) und in Bosnien (an die 30 Prozent) bedeutete die Verwirklichung dieses großserbischen Staates allerdings zwangsläufig die Verkleinerung oder — im Falle Bosniens — gar die Zerstörung anderer Republiken. Entwertet wird diese Argumentation allerdings durch die Unterdrückung der Albaner im Kosovo, die, da von den Serben als gleichberechtigte Nation nicht anerkannt, in einem großserbischen Reich ohne kollektive und sogar individuelle Rechte leben müßten.
Bisher schien der serbische Standpunkt lediglich dazu zu dienen, Kroatien zu zwingen, in irgendeiner Form den jugolawischen Gesamtstaat anzuerkennen. Das Treffen der Präsidenten beider Republiken, Tudjman und Milosevic, in der letzten Woche ließ sogar Hoffnungen sprießen, eine gütliche Einigung auf höchster Ebene sei möglich und könne zu einer Entspannung führen. Die Schießereien bei den Plitvicer Seen — seien sie nun von oben gewollt oder durch Provokateure der Nationalisten herbeigeführt sind — haben den Verhandlungsspielraum weiter eingeengt. Angesichts der durch die nationalistischen Kampagnen weiter angeheizten Atmosphäre in beiden Republiken ist die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung bedenklich gesunken. Mit der Entscheidung der Führung der Armee, in dem Konflikt offen auf die Seite der Serben zu treten und den kroatischen Milizen ein Ultimatum für den Abzug zu stellen, ist die Gefahr einer gewaltsamen Auseinandersetzung nicht abgeschwächt. Im Gegenteil, die Führung der Armee, die nach den Demonstrationen vor zwei Wochen in Serbien selbst begann, von ihrer titoistisch-kommunistischen Ideologie und gesamtjugoslawischen Politik langsam abzurücken, ist damit zu dem alten Stanbdpunkt zurückgekehrt: die Einheit Jugoslawiens unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu garantieren. Zwar stehen die größeren Bataillone nun auf seiten Serbiens, an der Bereitschaft der kroatischen Öffentlichkeit, für den Bestand der Republik mit allen Mitteln zu kämpfen, darf jedoch auch nicht gezweifelt werden.
Erich Rathfelder
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