: Kabale, Frauen und der Markt
Erster „unabhängiger“ sowjetischer Frauenkongreß in Dubna/ Die schlagkräftigsten und phantasievollsten Initiativen sowjetischer Frauen heute dienen der ökonomischen Selbsthilfe angesichts der nahenden Marktwirtschaft ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
„Bei uns gibt es keine Geschäftsfrauen!“ Mit diesem Argument wurde Irina Kortschaginas Antrag, ihre neue Zeitschrift 'Die Geschäftsfrau‘ in das gesamtsowjetische Abonnementnetz aufzunehmen, vorerst von der zentralen Druckerei- und Verteilungsbehörde „Sojuspetschat“ abgeschmettert. Höchst lebendige zweibeinige Exemplare dieser Spezies fanden sich trotzdem letztes Wochenende im Atomphysikerstädtchen Dubna bei Moskau auf dem „Ersten Internationalen Unabhängigen Frauenforum“ der UdSSR an der hier noch kleinen und blitzblauen Wolga.
Vielversprechend sah das Programm schon aus: Da gab es drei Tage lang allerhand Vorträge, da wurde in einem Raum gut hörbar das „ästhetische Experiment Stimme und Körper“ durchgeführt und eine Arbeitsgruppe zur „Diskriminierung der Frau in der patriarchalischen Kultur“. „Wir wollen keine zweite Welt gegen die Welt der Männer setzen“, dieser Tenor schwebte über allen Veranstaltungen. Feministisches Bewußtsein im westlichen Sinne war am ehesten in den historischen Vorträgen einiger westlicher Teilnehmerinnen aus den USA und aus Schweden präsent. Von Sexualität war insgesamt recht wenig die Rede. Dazu, so meinte die überwältigende Mehrheit, seien die Zeiten viel zu schwer: Das ist wohl das einzige Argument Lenins, das in diesem Staate nach über siebzig Jahren noch gilt.
Sie sei offenbar mit „allzu großem Idealismus“ angereist, meinte Olga Schuk. Auf der Konferenz vertrat sie die Leningrader „Tschaikowskij- Stiftung“, die seit kurzem für die Interessen homosexueller Männer und lesbischer Frauen im Lande kämpft: „Es verblüfft mich, was für ein — milde gesagt — kompliziertes Verhältnis zu diesen Gruppen die Frauen hier haben, vor allem, wenn sie sich als ,Feministinnen‘ bezeichnen.“ Beim etwa halbstündigen Bericht der Arbeitsgruppe „Diskriminierung der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft“ gab es am Ende nahezu einen Tumult im Plenum. Gewiß auch, weil ein festes zeitliches Reglement fehlte. Dafür wurde jeder Redebeitrag zensierend kommentiert. Ein Zufall?
Kolossale Vorsicht
Und dann noch so ein Zufall: In dem wohligen Bewußtsein, auf die Teilnehmerliste gesetzt zu sein, traf die Autorin dieser Zeilen am Ostersonnabend im fast unbelegten Vorzeigehotel Dubna I ein und mußte erst einmal eine Stunde um ein Zimmer kämpfen: Vom Organisationskomitee des Moskauer „Instituts für Geschlechterforschung“ sei ihre Teilnahme nicht vorgesehen, aufgelistet sei sie zwar, aber absichtlich nicht eingeladen, da es keinen Platz mehr gäbe. Da kam ein weiterer Zufall zur Hilfe: Die Filmregisseurin Jelena Andrejewa, von der Autorin auf ihre nette Ähnlichkeit mit Alice Schwarzer hin angeredet, wurde gesprächig und berichtete von der Ablehnung ihrer Arbeiten durch das Organisationskomitee. Sie hatte nach Leidensgenossinnen gesucht und kam zu dem Schluß: „Gegenüber den wirklich unabhängigen Teilnehmerinnen herrscht hier eine kolossale Vorsicht, man bemüht sich um ihre totale Überwachung. Die Durchführung des ganzen Kongresses verrät das hier gewohnte autoritäre Denken. Da geht's um einen ganz gesetzmäßigen Versuch, innerhalb des Systems eine weitere Organisation zu gründen, die von ihren Führerinnen kontrolliert wird.“ Wahrhaft harte Zeiten in diesem Land!
Da gibt es die „Frauen von Tschernobyl“, von denen viele an Strahlenkrebs erkrankt sind oder krebskranke Kinder haben, und die sich zusammentaten, „nur um den Depressionen nicht völlig zu verfallen“. Da ist die „Vereinigung der Fraueninitiativen“ des Städtchens Nabereschnije Tschelnyj, das bei fünfhunderttausend Einwohnern mehrerer Spezialeinrichtungen für zerebrale Gelähmte bedarf, weil es in der dortigen Geburtshilfeklinik Sitte ist, die Säuglinge derart aus dem Mutterleib zu zerren, daß ihnen die Gehirnmasse zerquetscht wird. Wahrlich, so direkt ist frau angesichts solcher Gespräche nicht nach Unterhaltungen über Sexualität zumute.
Wohltätigkeit und Geschäfte
Und so wandte sich die Korrespondentin der größten Arbeitsgruppe zu, deren Thema hier alle interessierte und auch das Abschlußplenum dominierte: Frauen und Wirtschaft. „Die wirtschaftlichen Zukunftsprognosen für unser Land versetzen viele Frauen in Todesangst. Es ist unsere Aufgabe, diesen Ängsten zu begegnen, aber auch überschwengliche Illusionen zu dämpfen“, meinte eine der Teilnehmerinnen. Staunend stellten die Vertreterinnen verschiedener „weiblicher“ Geschäftsprojekte hier fest, daß sie fast alle gleichzeitig auf dieselbe Idee gekommen waren: Geschäfte mit Wohltätigkeit zugunsten von Frauen und deren Emanzipation zu verbinden und dabei durchaus auch Männer einzubeziehen. „Durch Wohltätigkeit findet die Frau Zugang zu Geld und zur Geschäftswelt“, formulierte Natalja Kubezkaja, deren Moskauer Gesellschaft „Frauen für soziale Erneuerungen“ mit sieben umfangreichen Projekten und Mitteln aus dem „Fonds Mitterrand“ zu den Krösussen auf diesem Gebiet gehört. Jelena Jerschowa, ebenfalls aus Moskau, eine eindrucksvolle Frau vom Schlage Miss Marples, fühlt sich der altgriechischen Göttin Gäa verpflichtet, die aus dem Chaos die Erdfeste schuf. Die Assoziation „Gäa“ unterstützt unter anderem junge Modeschöpferinnen. Deren Modelle wiederum nähen auf gestifteten funkelnagelneuen Singer-Nähmaschinen armenische Flüchtlingsfrauen, die in Moskau nicht gemeldet sind und deshalb von keinem staatlichen Unternehmen angestellt werden dürfen. In Erwartung einer Welle von Frauenarbeitslosigkeit haben in und um Swerdlowsk weibliche Angestellte der Ural-Schwer- und Atomindustrie die autonome Assoziation „Djuna“ geschaffen. Schon heute erwirtschaften sie selbst die nötigen Mittel aus einer Kette von Kleinbetrieben, verfügen über eine eigenes Fortbildungszentrum und ein psychologisches Test- und Beratungszentrum. „Wir wollen die Frauenarbeitslosigkeit nicht auffangen, sondern ihr zuvorkommen“, sagt Ella Worobjowa von „Djuna“ — eine blühende Fünfzigerin.
Ein eigenes positives „Mikroklima“ habe sie um sich herum geschaffen, gibt auch Irina Kortschagina zu Protokoll, die vorwitzige Herausgeberin der 'Geschäftsfrau‘. „Wir sind eine kommerzielle Zeitschrift, und wenn wir heute auf die Frauenbewegung gesetzt haben, dann deshalb, weil wir das auch geschäftlich für vielversprechend halten!“ Von einer gesetzlichen Begünstigung für weibliche Unternehmerinnen hält Irina nichts: „Wir hatten auch im alten System ,Quotenfrauen‘. Viel wichtiger ist jetzt für uns eine baldige Realisierung des Marktes, der viel zulange auf sich warten läßt.“
Auf dem Dubnaer Forum errang der Markt einen Teilsieg. Die Gründung einer Datenbank für sowjetische Unternehmerinnen und weibliche Arbeitssuchende war das konkreteste Ergebnis des Kongresses, ebenso eine Resolution mit der Forderung, die 'Geschäftsfrau‘ auf die unionsweite Abonnementliste zu setzen.
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