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Alfred ist kein passender Name für ein Negerkind...

■ Die neue Fibel aus dem Verlag »Volk und Wissen GmbH«, Berlin

...und weil nach der Wende ja alles ganz schnell gehen mußte, brachte der Verlag Volk und Wissen, damals noch volkseigen, 1990 eine Fibel heraus, die jetzt in veränderter Fassung auf dem Gesamtberliner Schulbuchmarkt erscheinen möchte.

Da sollen die ABC-Kinder auf altbewährte Weise lesen lernen: Mama ist am Wäschekorb, Papa ist im Auto. Das Auto, in der Ausgabe von 1990 noch ein durchfallfarbener Wartburg, ist 1991 ein leuchtendroter VW. Und auch Papas Arbeit auf der Baustelle hat sich angepaßt. Aus dem platten Plattenbau wird nun ein Haus mit postmodernem Erker. Der Supermarkt von 1990 zeigt das triste Warenangebot, rechts zwanzig Flaschen Milch und links zwanzig Brote. Die neue Ausgabe zeigt dann, was die DM möglich machte.

Doch sonst ist die Fibelwelt so weit weg vom wirklichen Leben wie eh und je. Auf 13 Seiten wird Mama als Hausfrau und Mutter dargestellt: Sie hängt die Wäsche auf, sorgt für Ordnung und sitzt mit dem Kinderwagen auf dem Spielplatz. Nur auf einer Seite erfährt das Fibelkind, daß Mutti auch zur Arbeit gehen muß. Eine Lehrerin und eine Kassierin gibt es auch. Dabei waren in der ehemaligen DDR über 80 Prozent der Frauen berufstätig. Die sind wohl jetzt in der Fibel und wie im richtigen Leben alle arbeitslos. Zum Trost gibt's dann den Muttertags- und Frauentagskitsch. Papa schafft natürlich tüchtig und Opa füttert die Kaninchen. Denn in dieser Fibel gibt es die heile Großfamilie: Vater, Mutter, zwei Kinder und sogar Oma und Opa. Aber keine geschiedenen Ehen, keine alleinerziehenden Mütter oder Väter, keine Schlüsselkinder. Darüber können wohl noch die LehrerInnen sprechen, wenn das echte Schulkind mal wieder zu spät kommt.

Probleme werden auch angesprochen. Das Söhnchen hat in Mathe »nur« eine 3, die Hosentaschen sind voll Krempel, aber es fehlt das Taschentuch, und die Tochter kann nicht mit der Puppe spielen, weil sie nicht aufgeräumt hat. Auf Seite 90 lernen wir das Brüderchen kennen und das schwarze Puppenbaby. Beide heißen Alfred: »Aber weil das für ein Negerkind kein passender Name ist, haben wir Ali daraus gemacht.«

Damit nun aber keiner auf den Gedanken kommt, die Fibel sei rassistisch, tanzen alle Kinder der Welt auf einer Doppelseite Ringelreihen. Und dann ist das noch die Doppelseite mit »unserer schönen Heimat«, grenzenlos von Rostock bis Ostfriesland. Es gibt auch gute Seiten in der Fibel, z.B. dort, wo ein Kind über seinen Angsttraum erzählt und ein anderes Kind über die Einsamkeit in der Hochhaussiedlung.

Über eine Seite werden sich v. Weizsäcker, Diepgen und Co. sehr freuen, auch wenn für sie aus der alten Ausgabe Brechts Friedensgedicht geopfert wurde. Da heißt der letzte Satz: »Was kennt Ihr schon von unserer Hauptstadt Berlin?« Lene Rechenfelder

Meine Fibel , Volk und Wissen Verlag GmbH, Berlin, 2. A. 1991

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