Kollektivwesen wieder ohne Gesicht

■ „Rote Socken am Grauen Kloster“, DFF, Mittwoch, 21.30 Uhr

Geschichte kann man erzählen über die Geschichten von Leuten. Doch was die Defa-Regisseurin Evelin Schmidt da in ihrem Dokumentarfilm gemacht hat, war nichts weiter als das zufällige Zusammenschneiden von Monologen jener fünf Frauen, die 1968 gemeinsam am traditionsreichen „Grauen Kloster“ ihr Abitur gemacht hatten. Nach über zwanzig Jahren begegnen sie sich im ehemaligen Klassenzimmer ihrer ehemaligen Schule in der ehemaligen DDR wieder. Zur 750-Jahr-und-Jubelfeier Berlins wurde von Bildungsministerin Honecker die 1574 gegründete Schule abgeschafft — 1990 die DDR.

Die Spannung dieses Streifen sollte daraus entstehen, daß den AbsolventInnen jener Schule der Start zu glänzenden Partei- und Berufskarrieren ermöglicht wurde. Die meisten erfüllten diese Erwartungen mit Enthusiasmus und dem Gefühl „großen Aufgaben“ zu dienen. Heute finden sich etliche von ihnen in Warteschleifen wider und sehen ihre Lebensträume von 1968 gescheitert. Doch genau dieses simple Bild boten die Frauen nicht.

Die mehr oder weniger großen Brüche in ihrem Leben begannen nicht erst mit dem Zusammenbruch der DDR, auch wenn anfangs „alles klar war bis zur Rente“. Die einstige Philisophiestudentin brach das Studium ab, weil sie die fertigen Antworten nicht ertragen konnte. Für sie war die „Geschichte auch damals schon offen“. Auch als Jorunalistin scheiterte sie, „weil sie die Welt mit verändern wollte“, was ihr nicht gelang. Heute fährt sie Straßenbahn, warum erfährt man nicht. Die Journalistin damals bereit, als Parteifunktionärin „ihren Mann“ zu stehen, gab schon nach zwei Jahren auf und zog sich bis vor einem Jahr in die Nische Archiv zurück. Die Ärztin verschlug es mit Parteiauftrag ins Schwerpunktgebiet Cottbus, wo sie nicht glücklich wurde. Durch einen Zufall kam die FDJ-Funktionärin zu ihrem Job und „sah die Notwendigkeit ein“. Als einzige nicht unzufrieden die Kunstwissenschaftlerin, die vor zehn Jahren eine Schmuckgalerie übernahm.

Für sie alle war die Partei Lebbensgestalterin und -begleiterin. Sie hatten in ihrer Jugend „immer das Größere gesehen“. Erst später ist ihr bewußt geworden, sagt die Straßenbahnfahrerin, daß „man auch ein Recht auf persönliches Glück hat“. Damals sei die Arbeit eine Berufung gewesen — jedoch eine, an der die Frauen zum Teil selbst gescheitert sind. Heute diene sie nur zum Lebensunterhalt.

Zu allgemein, zu unscharf blieb die Spurensuche mit der Kamera. Man erfuhr kaum etwas über die jetzige Situation der Frauen. Ihre Aussagen waren vor den laufenden Archivschnipseln von damals nicht zu unterscheiden, wurden dadurch verwechselbar. Das alte Klassenzimmer sorgte für zusätzliche Anonymität. So erhielten die „als Kollektivwesen aufgewachsenen“ Frauen auch in dem Film kein eigenes Gesicht. Anja Baum