Wenn ein Gott menschlich wird

■ Diego Armando Maradona flüchtet aus Neapel, fliegt nach Buenos Aires und fürchtet die Spöttereien Aber Kollegen, Funktionäre und Staatspräsidenten fordern Respekt für den genialen Fußballpummel

Berlin (taz) — Maradona-Lieder und -Wandgemälde, Maradona-Regenschirme und -Hundeumhänge. Maradona-Neapel. In der Stadt am Vesuv gab es nichts, was es nicht gab für die argentinisch-neapolitanische „Hand Gottes“. Jetzt gibt es nur noch Maradona-Tränen. Wenige heimliche für ihn. Viele öffentliche von ihm. Die Karriere des letzten Fußballgenius unserer Zeit endet mit Eigentoren. Sein Anflug vor sechseinhalb Jahren war eine Zeremonie. 60.000 Neapolitaner im Stadion „San Paolo“ wurden beglückt, als ihr Kickergott in den Kessel schwebte und einem Helicopter entstieg. Er blieb 2.461 Tage, 259 Spiele und 115 Tore lang. Der SSC Neapel verdankt ihm eine Meisterschaft, einen UEFA-, einen Landespokal und unzählige Schlagzeilen. Sein Abflug vor zwei Tagen war eine Flucht. „Nur für einen Tag zum Geburtstag meiner Tochter“, beschwindelte Maradona die Journalisten und organisierte die Verladung von 20 Gepäckkisten. Ein Abschied heimlich und peinlich für den Mann, der erfuhr, daß es auch außerhalb des Fußballrasens „schöne Dinge“ des Lebens zu probieren gilt.

Maradonas Kokainkonsum bestrafte der italienische Fußballverband mit einer „vorläufigen Sperre“, deren Dauer am Samstag konkretisiert werden soll. Die Zeitung 'Corriere della Sera‘ behauptet indessen, alle Urteile und Bestrafungen wären dem argentinischen Fußballstar längst egal: „Ich habe dem Fußball Lebewohl gesagt“, zitiert sie den leidenden Maradona. Die Öffentlichkeit leidet mit. Größtenteils. Jedenfalls blieb der „Sturm der Empörung“ ('Bild‘) aus. Argentiniens Staatspräsident Carlos Menem fordert: „Man kann ihn nicht auf grausame Weise kreuzigen, nachdem er vorher in den Rang eines unantastbaren Idols erhoben wurde.“ Angestellte und Neugierige auf dem Flughafen von Buenos Aires erhörten ihr Staatsoberhaupt und begrüßten den „Botschafter des Sports“ mit Beifall und Autogrammwünschen. Wie in alten Zeiten. Auch die Funktionäre der FIFA betrachten das Trauerspiel Maradona als Tragödie für den Sport. Als mehr nicht, auch wenn sie die Sperre des italienischen Verbandes weltweit durchsetzen will.

Aber die Argentinier haben ihren wiedergewonnenen Sohn längst nicht aufgegeben, erklärte er doch jüngst sogar seine Bereitschaft, wieder im Nationaltrikot die Gegner zu umkreisen. Demnach will der Verband zwar die persönlichen Fehler Maradonas eingestehen, aber ansonsten fleißig Material zu seiner unverzüglichen Rehabilitierung sammeln.

Völlig ratlos und verdattert blickt nur Neapels Präsident Corrado Ferlaino in die Runde: „Ich weiß am wenigsten.“ Zu seinem Kummer verlor der SSC auch noch das Rückspiel im Pokalhalbfinale bei Sampdoria Genua mit 0:2. Das „Spiel eins nach Diego“ wurde zum Fehlstart. Eigentlich sollte die Skandalnudel Maradona doch den Verein kurieren, indem rund 13 Millionen Mark Schulden durch dessen Verkauf abgebaut werden. Aber wer kauft einen Spieler, der nicht spielen darf? Vielleicht Bayern München wie vor vier Jahren. Damals Ferlaino grinsend: „Was glauben sie, was hier los wäre, wenn wir über solchen Wahnsinn in Neapel nur öffentlich nachdenken würden?“ Die Zeiten der Vergötterung sind vorbei. Neapels Fußballfans registrieren den Absturz ihres Idols mit erstaunlicher Gelassenheit. Einen König haben sie sowieso nicht verloren — hat Maradona selbst gesagt: „Es gab nur einen König — Pelé. Und dessen Zeiten sind vorbei.“ Seine auch. Schade. bossi