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El Salvadors kritische Stimme

Die Tageszeitung 'Diario Latino‘ ist nach einem Bombenattentat populär wie nie zuvor  ■ Aus S. Salvador Ralf Leonhard

Vor dem schmuck- und fensterlosen Gebäude unweit des Stadtkerns von San Salvador lehnen rußschwarze zerbrochene Welleternitplatten, im Inneren verrät hektisches Geklapper, daß hier eine Zeitungsredaktion angesiedelt ist. Die Reste eines verkohlten Setzkastens, ausgebrannte Schreibtische und Büromaschinen wurden in einer Ecke zusammengeschoben. Aus den aufgebrochenen Archivkästen quellen angekokelte Dokumente, überall liegen Stapel von Zeitungen. Nur das Zeitungsarchiv, wo die komplette Edition des 'Diario Latino‘ seit 1925 aufbewahrt wird, ist intakt geblieben. Einen Monat nach dem Brandanschlag herrscht in der einzigen kritischen Tageszeitung El Salvadors wieder betriebsames Leben.

Vier Wochen nachdem am 9. Februar ein vermutlich von der Armee geschicktes oder zumindest gedecktes Terrorkommando den Sitz des Oppositionsblattes in Brand gesteckt hat, wird die Zeitung wieder täglich verkauft. Zwar vorerst nur als achtseitiges Faltblatt, das auswärts gedruckt werden muß und zur Hälfte mit Kleinanzeigen gefüllt ist, doch es geht um die demonstrative Präsenz. Angesichts des knappen Inhalts ist eindeutig Soldarität und nicht Informationsbedürfnis das vorherrschende Kaufmotiv. Doch: „Sobald unsere Druckmaschine wieder in Gang ist, erscheinen wir im doppelten Umfang“, versichert Direktor Francisco Valencia. Die Maschine, ein fast 30 Jahre alte Rotationspresse aus Chicago, kann zur Gänze saniert werden. Technikstudenten von der Nationaluniversität haben viele Stunden freiwilliger Arbeit investiert, um die verschmorten Kabel auszutauschen und die Leinenbespannung auf den Walzen zu ersetzen. Mittlerweile konnte mit Hilfe von Spenden auch das Dach neu gedeckt werden. Die IBM-Composer, die wie das meiste Gerät ein Raub der Flammen wurden, sollen durch moderne Satzcomputer ersetzt werden, die in den USA bereits bestellt wurden. Die Basisausrüstung für den Betrieb und die Gehälter konnten durch Solidaritätsleistungen aus dem Ausland und von den einheimischen Volksorganisationen garantiert werden. „Hier wurde nach dem Attentat keiner rausgeworfen“, freut sich Francisco Valencia. Das Permanente Komitee für die Nationale Debatte, eine Vereinigung von Dutzenden kirchlichen und sozialen Organisationen, das sich für eine Verhandlungslösung des Bürgerkriegs einsetzt, organisierte einen Spendenmarathon im Fernsehen, bei dem immerhin 6.500 Dollar aufgebracht wurden. Die Redaktion erweist ihre Dankbarkeit gegenüber den Volksorganisationen durch die Tendenz ihrer Berichterstattung und gleitet dabei oft ins Pamphletarische ab. Redaktionschef Jorge Armando Contreras will dafür sorgen, daß wieder größere Objektivität einkehrt, sobald die volle Kapazität erreicht ist. Die Rotationspresse kann pro Stunde 30.000 Zeitungen von 32 Seiten Stärke drucken — etwa dreimal soviel, wie vor dem Anschlag täglich verkauft wurde.

Doch mit der Restaurierung der Maschinen allein ist die Zeitung nicht gerettet. 'Diario Latino‘, ein Blatt mit hundertjähriger Tradition, wurde bekanntlich erst wieder populär, als die Herausgeber vor zwei Jahren wegen hoffnungsloser Überschuldung zusperren wollten. Damals beschlossen die Arbeiter, den Betrieb selbst in die Hand zu nehmen. Mit seiner neuen, regierungskritischen Linie bildete die Zeitung plötzlich eine lesenswerte Ausnahmeerscheinung im eintönigen Blätterwald El Salvadors. Bald konnte die Auflage verdreifacht werden und im täglichen Betrieb werden wieder schwarze Zahlen geschrieben. Allerdings schleppt das Zeitungsmacherkollektiv alte Schulden von fast einer Million Dollar mit. „Das Gebäude und die Maschinen gehören der Bank“, seufzt Valencia. Der ehemalige Christdemokrat und jetztige Verbündete der „Arena“-Regierung, Julio Adolfo Rey Prendes, der zwei Drittel der Aktien hält, kam zwei Tage nach dem Anschlag, um den Schaden zu begutachten, doch ein ernsthaftes Gespräch über die Zukunft der Zeitung wollte er nicht führen. Früher oder später, so fürchten die Journalisten, wird er die Arbeiter vor die Alternative stellen, die Blattlinie zu ändern oder zuzusperren. Deswegen überlegen die Zeitungsstrategen gemeinsam mit befreundeten Juristen, ob es nicht möglich wäre, nach dem Brandanschlag mit neuer Rechtspersönlichkeit und verändertem Namen neu zu beginnen. Doch die Alternative zur Einigung mit der Bank über die fälligen Schulden wäre der Umzug in ein neues Gebäude und die Anschaffung einer neuen Druckmaschine. Dafür fehlt das Kapital, wenn nicht plötzlich ein potenter Mäzen einspringt.

Wie bei den meisten spektakulären Verbrechen in El Salvador fehlt auch in diesem Fall von den Attentätern jede Spur. Vizepräsident Francisco Merino und andere Exponenten der äußersten Rechten halten an ihrer These vom Selbstattentat fest, das dem Wahlkampf der Linksparteien Auftrieb geben sollte. Francisco Valencia macht sich keine Illusionen, daß die Justiz ernsthaft an einer Aufklärung interessiert ist: „Bisher wurden nur die Mitarbeiter der Zeitung verhört.“ Schließlich gilt 'Diario Latino‘ der rechtsextremen Regierung als Sprachrohr der FMLN.

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