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Wo wilde Kerle wohnen sollten

■ »Kunst in der Kita« stellt die Werkbund-Galerie aus

Natürlich ist die Leihgabe von Filli (5) Feuerspeiender Drachen in Wasserfarben auf Papier das schönste Ausstellungsstück in der Werkbund-Galerie. Unter gelben Sonnenstrahlen und blauen Wolkenmeeren hockt ein buckliggrüner Riesendrachen, so schrecklich wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, und spuckt knallrotes Feuer. Alle gefährlichen Märchen- und Mythosdrachen sind in ihm vereint. Doch Kunst in der Kita, so der Titel der Werkbund-Schau, die auf Fotografien und Zeichnungen unterschiedliche Kunstkonzepte von zehn Architekten- und Künstlerteams in Berliner Kindertagesstätten vorstellt, geizt mit weiteren genialen Objekten. Anstatt die Phantasie der Kinder durch die Phantasie von Architektur und Kunst am Bau zu befördern und das Risiko zu wagen, die Kinderwelt abzusetzen von einer zunehmend mehr zweckrationalen Umgebung, gleichen die »Kunst-in- der-Kita«-Experimente schüchternen Versuchen für buntere Spiellandschaften: Von wilden Kerlen kaum eine Spur.

Bei näherer Betrachtung der Bilder in der Werkbund-Galerie zeigt sich, daß das Defizit an Kitakunst nicht mangelnde Ideen, sondern fehlendes Geld für die Künstler in einem ungleichen Konzept ist. Mit geringen Mitteln ausgestattet, muß die Kunst am Bau der Architektur als unterstützendes Element dienend zur Seite gehen; als eine ärmliche Zutat oft, als Schmuck, der mit weniger als ein Prozent der Bausumme auszukommen hat. Vom »Gesamtkunstwerk« kann keine Rede sein. Übrig bleiben von Künstlern lustig bemalte Badezimmerkacheln, amöbenhaft- weiche Formen für den Eingangsbereich und ein paar Vögel an der Decke oder drei schmale Wetterfahnen auf dem Dach. Das sind, wenn auch nette, so doch nur angehängte Dekorationen, deren Sprache sich am Nutzen orientiert, die Räume verschönert und bestenfalls der Architektur ein unverwechselbares Zeichen gibt. Das ist zumeist sehr praktisch, sehr geschickt, lehrreich und schlau. Mehr aber nicht. Die Kunst am Bau bleibt so diesseitig wie die Kita selbst, und für die Kids bleibt wie immer der ungenügende Rest. Eine andere Welt erschafft das indes nicht.

Ins Märchenhafte und Unwirkliche hinein reicht die Atmosphäre in den Kitas nur in wenigen Ecken. Materialien und Formen führen dort zu Erlebnissen, die sich nicht an der Realität, sondern der Imagination messen. Aus dem Zauberreich entstammt Susanne Spechts dreigeteilter Granitblock für den Garten in der Kita Gatow, der, teils poliert und teils in Naturkruste belassen, fließendes Wasser symbolisiert. Joachim Liestmann und Udo Klückmann schufen für die Kita »Tabor« eine traumlandschaftartige Lichtdecke, die den Raum in ein warmes irreales Licht hineintaucht. Schließlich erreicht die steinerne Wasserschlange Paula von Helgard Soenario, Heinz Kemmner und Ralph Beyer in der Kita am Paul-Lincke-Ufer ein wenig an die wüsten Spielgefährten heran, vor denen uns die Alten immer gewarnt haben.

Wie dem Dilemma zwischen dominanter Architektur und kleiner Kunst am Kitabau vielleicht beizukommen ist, zeigen Jasper Halfmann und Clod Zillich mit ihrem Projekt, indem sie das Haus selbst zum surrealen Erlebniswerk für die Kinder machen. Die Kita ist als langgestreckter Bau geplant, in der Form einer Vogelschwinge. Der Flügel assoziiert einen Raumgleiter, mit dem man sich über die alltägliche Schwerkraft erheben kann, ganz so wie Nils Holgerson auf seinen fliegenden Reisen. Der ganze Raum wird zur idealen Kinderwelt, Spielzeug und Spielraum zugleich, der sich von der Normalität absetzt. rola

Die Ausstellung ist bis zum 26. April in der Werkbund-Galerie zu sehen. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag von 16 bis 18.30 Uhr.

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