All that Jazz!

■ In deutschen Radioprogrammen ist vom Jazz meist nicht mehr viel zu hören

Wo läßt sich der Zeitgeist besser ablesen als in der Werbung? Begriffe wie „Swing“, „Bebop“ und „Jazz“ finden sich immer häufiger als Attribute für Markenartikel wie japanische Kleinwagen, französisches Parfüm oder deutschen Kaffee. Jazz als Hintergrundmusik eines Werbespots verleiht so manchem Produkt ein gewisses Life-Style-Image. Spätestens seit Filmen wie „Round midnight“, „Bird“ und „Mo' better Blues“ ist Jazz wieder in Mode gekommen.

In deutschen Radioprogrammen ist von dieser Tendenz noch nicht viel zu spüren. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verbannen ihre wenigen Stunden Sendezeit für Jazz meist ins Spätprogramm, der private Dampf- und Dudelfunk hat keinen Platz für Spartenprogramme.

Der Privatfunk boomt noch immer mit „Adult Contemporary Music“, das heißt eine auf den Durchschnittserwachsenen abgestimmte Musik. „Formatradio“ ist das Erfolgsrezept des privaten Hörfunks: Nach amerikanischem Vorbild soll eine Computer-gesteuerte Musikauswahl optimalen Programmfluß gewährleisten und mit sparsam dosierten Wortanteilen gezielte Hörerkreise möglichst unaufdringlich berieseln.

Jazz läßt sich nur schwer in ein solches Konzept pressen. Radio Schleswig-Holstein hatte zum Sendestart 1986 noch eine wöchentliche Swing-Sendung im Programm, die jedoch schnell einer engeren Formatierung zum Opfer fiel. Nur wenige ähnliche Jazz-Sendungen halten sich noch im Spätprogramm formatierter Privatsender. So etwa bei Radio Gong/Nürnberg das zweistündige „Swing-in“, mittwochs zwischen 23 und 1 Uhr. Dort ist die Musikauswahl stark angepaßt an die allgemeine Musikfarbe des Senders („Ein Sender — alle Hits!“). Sanfter Mainstream dominiert, experimentellere Töne würden das Format sprengen und sind tabu.

„Jazztime-Nürnberg“ sendet einmal pro Woche eine Stunde mäßig lauen Mainstream und Swing auf 94,5 MHz. Kaum ein Hörer merkt, daß die Jazztime eine eigene Sendelizenz hat, das Programm klingt eng verwoben mit dem des Frequenzpartners Radio F („Mehr, viel mehr Musik“). Anders verhält es sich in München: Seit über fünf Jahren sendet dort auf 92,4 MHz die „Jazz- Welle Plus“. Auch sie muß sich die Frequenz mit einem durchformatierten Radio teilen (Radio Arabella, Volksmusik und Schlager). Allerdings hat die Jazz-Welle Plus immerhin 38 Studen Sendezeit pro Woche. Das reicht auch für Jazz-Specials wie Avantgarde, Plattenneuheiten und Vorstellung der Münchener Szene. Die Jazz-Welle Plus versteht sich als Kulturradio; eben jenes „Plus“ im Namenszug steht für die werktäglichen „Kultur-vor-8“-Sendungen mit Reportagen und Interviews rund um die Münchener Kulturszene. Das ganze wird garniert mit Musik von Klassik bis Jazz, jeweils dem Thema entsprechend.

Die anfangs als „Minderheitenfunk“ belächelte Jazz-Welle Plus erreichte bei der letzten Funkanalyse durchaus ernstzunehmende Einschaltquoten. Außerhalb der prime time — und nur dann sendet die Jazz- Welle — hat der Sender unter fünf konkurrierenden Lokalsendern einen Anteil von bis zu 54 Prozent aller Lokalfunkhörer. Zwischen 18 und 19 Uhr steht die Jazz-Welle Plus vor allen anderen Münchener Privatsendern.

Daß ein reines Jazzradio erfolgreich sein kann, beweisen zahlreiche Jazz-Stationen in den USA. Große Erfolge erzielte anfangs auch Londons „Jazz-FM“, der auf UKW 102,2 MHz 24 Stunden rund um die Uhr ein reines Jazzprogramm anbietet. Über eine Million Hörer pro Woche zählte der Sender im ersten Jahr seines Bestehens und überholte damit fast alle kommerziellen Sender der britischen Hauptstadt. Er rangierte in der Hörergunst gleich hinter der Pop-Station „Capital-Radio“ auf Platz zwei.

Doch zu seinem ersten Geburtstag sah sich Jazz-FM mit einem 40prozentigen Verlust der Hörerschaft konfrontiert. Musikchef Malcolm Laycock reduzierte das Personal und will jetzt durch eine straffere, engere und vor allem einheitlichere Musikauswahl Hörer zurückgewinnen. Zu den Ursachen der Verluste gehörte nicht allein das zu breit gefächerte Programm, sondern auch die allgemeine politische Lage: Wegen der Golfkrise und dem Rücktritt der Thatcher-Regierung galt das Hörerinteresse mehr den Nachrichten als der Musik. Das betraf alle Sender.

Wie sich Golfkrise und internationale Politik bei uns auf das Radiohörverhalten ausgewirkt hat, erwartet man von den Ergebnissen der zur Zeit in Bayern laufenden Umfragen der Funkanalyse 1991 zu erfahren. Diese Ergebnisse dürften besonders auch den Münchener Diplomkaufmann Hans Ruland — Betreiber der Jazz-Welle Plus — interessieren. Er möchte sein Jazzprogramm auch in Hamburg anbieten und hat sich um die Frequenz 97,1 MHz beworben. Auf dieser Frequenz hatte Radio Korah vor seinem Konkurs ein kulturorientiertes Programm geboten; jetzt will Ruland die Hamburger Szene um jenes Programm aus „Klassik- Literatur-Kultur & all that Jazz“ bereichern und hat bereits Kontakte zu zwei Mitbewerbern aufgenommen, um seine Erfolgschancen zu erhöhen. Bei seiner Bewerbung beruft sich Ruland noch auf die guten Zahlen der Funkanalyse 1990 sowie auf die Anfangserfolge von Londons Jazz-FM.

In Hamburg hat Ruland allerdings einen Konkurrenten, der bereits seit Oktober vergangenen Jahres auf 98,1 MHz „on air“ ist: Klassik-Radio Hamburg versteht sich ebenfalls als Kulturradio. Zwischen kulturellem Anspruch und kommerzieller Realität besteht bei Klassik-Radio Hamburg jedoch nicht unbedingt Deckungsgleichheit; zwar bringt Klassik-Radio ausführliche Kulturnachrichten, in Moderation und Musikauswahl bleibt der Sender jedoch weitgehend oberflächlich. Zudem bringt Klassik-Radio gerade mal zwei Stunden Jazz pro Woche und das sehr moderat in üblicher Manier im Spätprogramm. Den Hamburger Jazzfans, die sich ansonsten mit Michael Nauras NDR-„Jääzzzz im Dritten“ begnügen müssen, dürfte das noch lange nicht genug sein.

Jazzrevolutionen finden in deutschen Radioprogrammen noch immer nicht genügend Widerhall. New Jazz steht immer noch zu selten auf den Programmen der öffentlich- rechtlichen Radiostationen. Vielleicht ist die Befürchtung, mit allzu schrägen Klängen einzig die Ratten aus den Kellern zu verjagen, einfach noch zu groß. Musiker wie Henry Threadgill, John Zorn, Zeena Perkins oder Fred Frith, welche vor allem die Szene des jährlichen New Jazz Festivals in Moers prägen, finden meist nur in alternativen Radios ausführlichen Respekt. Nach dem Konkurs von Radio 100 in Berlin bleibt revolutionärem New Jazz oft nur eine Lobby in Nürnberg bei Radio Z. Wolfgang Seemann