: Das Scheitern des Populismus
■ Polen ist nach Europa zurückgekehrt
Das Scheitern des Populismus Polen ist nach Europa zurückgekehrt
Die Meinungsmacher der gelben Presse tun sich jetzt doch etwas schwer. Die „Flut aus dem Osten“ steht vor der Tür. Doch der Kampagnensprache sind plötzlich Zügel angelegt. Zwar werden nach wie vor Ängste erzeugt, wenn von Hunderttausenden die Rede ist, die über die Grenze aus Polen in die Ex-DDR und auch nach Berlin „strömen“. Häufig aber schimmert fast so etwas wie Nostalgie durch manche Zeilen, als dächten die Verfasser mit Sehnsucht an jene Jahre, als man noch mit dem Zitieren von „Volkes Stimme“ die Stimmung anheizen und mit Ausländerthemen noch Wahlen für die Konservativen gewinnen konnte. Angesichts der miesen Stimmung in den neuen Bundesländern käme dieses Thema heute wie gelegen, um das politische Terrain zu befestigen.
Die Zeiten aber sind nicht mehr so. Rechtsradikale und Neonazis richten jetzt zwar politischen und menschlichen Schaden an. Doch die Visafreiheit für die Polen ist — Gott sei Dank — eingebettet in die europäische Normalität. Wer das Schengener Abkommen unterzeichnet hat und für die Integration Europas werben will, muß den freien Verkehr, die Logik offener Grenzen gegen die Engstirnigkeit dieser Gruppen und die Ängste eines Großteils der Bevölkerung verteidigen. Weil dem konservativen Populismus objektive Schranken gesetzt sind, werden diejenigen isoliert bleiben, die jetzt an den Grenzen randalieren. Das ist tröstlich für jene, die angesichts der früheren konservativen Rhetorik gegen den Eisernen Vorhang auf die darin enthaltene Doppelmoral hingewiesen haben: die europäische Vernunft stellt alle diejenigen ins politische Abseits, die gegen sie verstoßen.
Allein die in der Öffentlichkeit ausgemalten „negativen Erscheinungen“ — gemeint sind die Polenmärkte mit ihren sanitären Problemen — werden sich in Grenzen halten. Mit der Vergrößerung des Angebots von westlichen Waren in Polen und der Verringerung des Preisunterschiedes bei Konsumartikeln des täglichen Bedarfs ist dem Schwarzmarkt Terrain entzogen worden. Sorge machen sollte dagegen die sich rapide entwickelnde organisierte Kriminalität, bei der Westler ihre Finger im Spiele haben. Und auch der Wille vieler Touristen, mit Schwarzarbeit im Westen der eigenen Misere zu entrinnen, wird zu Konflikten gerade mit den schwächsten Teilen der westlichen Gesellschaft führen, die für manche nicht leicht zu verkraften sein werden. In Polen jedoch hat der Wegfall des Visazwangs einen ungeheuerlichen psychologischen Effekt. Endlich, nach all den Jahrzehnten, sind die Grenzen offen. Polen ist nach Europa zurückgekehrt — mit allen Konsequenzen. Es ist nur zu hoffen, daß dies nicht den Beginn einer neuen Hierarchie in der Politik gegenüber anderen Ländern Osteuropas markiert. Erich Rathfelder
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