: Das fehlende Marx-Kapital
Der 8 mal 14 Meter große Bronzeabguß ist Stein des Anstoßes/ Im Streit um das Karl-Marx-Relief sind die Fronten verhärtet/ Eine „saubere Vergangenheitsbewältigung“ ist zur Zeit schwierig ■ Von Christian Schmidt
Die Kamera dreht sich langsam. Auf dem Bildschirm erscheinen die Oper, das Gewandhaus, der Uni- Turm. Unterlegt mit trübsinniger Musik taucht dann in Großaufnahme das Relief auf, Ausgangspunkt der meisten Reportagen westdeutscher JournalistInnen. Das Relief ist zum Kultsymbol geworden, für jede Menge schlechte Nachrichten aus Leipzig und Umgebung. Professor Ruddigkeit, einer der Schöpfer des Kunstwerkes, zur Verhaltensweise von Journalisten: „Es macht einen wie jede dummdreiste Bemerkung ärgerlich, zumal man passiv vor dem Fernseher sitzen muß und sich nicht wehren kann.“ Aber der Künstler kann auch anders: „Der muß erst noch geboren werden, der uns mit Worten zerschmettern will.“ Eine Entscheidung zur Zukunft des Reliefs steht weiterhin aus. Sinnvolle Diskussionen sind problematisch, da Hintergründe oft nicht ausreichend bekannt sind. Politische Beurteilung steht vor künstlerischer Aussage und Eigenständigkeit.
Begonnen hatte alles mit einem sozialistischen Wettbewerb zwischen sozialistischen Künstlern, zur Verschönerung der allzu häßlich geratenen Fassade des Universitätshauptgebäudes. Der Eingang dieses Hauses war zu unscheinbar, eine Art „Firmenschild“ mußte geschaffen werden. Diese nachträgliche Notlösung sollte den „Marxismus-Leninismus unserer Tage“ darstellen.
Verabschiedung mit Haltung oder Bilderstürmerei
Im Wettbewerb befanden sich die Künstler Gerhard Kurt Müller, Bernhard Heisig und das Kollektiv von Frank Ruddigkeit. Für Professor Ullmann, der seit langem Kunstgeschichte an der Uni lehrt, war damals der Vorschlag Bernhard Heisigs der wohl schönste: Vor einer dunkelblauen Fläche sollte neben dem obligatorischen Marx-Kopf eine Frauengestalt mit einem Strahlenbündel in der Hand aufsteigen und nach den Sternen greifen. Professor Ullmann begründet die damalige Ablehnung des Vorschlages so: „Das war allerdings einigen Leuten zu abstrakt, weil nicht der ganze Marxismus-Leninismus enthalten war, und Heisig selber, aus verständlicher Enttäuschung, hätte vielleicht gesagt: 'Es konnte nicht Papa und Mama sagen‘“. Letztlich erhielt das Kollektiv den Zuschlag. Frank Ruddigkeit (Graphiker und Maler), Rolf Kuhrt (Gebrauchsgraphiker) und Klaus Schwabe (Bildhauer) benötigten cirka drei Jahre, um den aus einzelnen Segmenten bestehenden Bronzeguß zu schaffen. Einen Gesamtüberblick aller Teilstücke hatten sie nie. „Fließende Projektierung“ war das Schlagwort.
750.000 Mark für Guß und Montage sowie jeweils 40.000 Mark Honorar für drei Jahre Arbeit waren die groben Kosten für das Relief. Genaue Daten waren nur der obersten Bauleitung und damit vor allem der SED-Bezirksleitung bekannt. Heute würde eine Entfernung des Kunstwerkes aufgrund Größe und Gewicht, so Frank Ruddigkeit, noch einmal zirka 750.000 D-Mark kosten. Eine schwierige Situation für die gerade erst neu gewählte Universitätsleitung. Kein Geld in den Kassen und doch bestrebt, das Kapitel „Karl Marx“ so schnell wie möglich zu beenden. Deutlich unsicher ist man aber, was die Kosten betrifft. Prorektor Professor Wartenberg munkelt etwas von einer „vagen halben Million“. Die Marxsche Büste aus dem Foyer ist schon verschwunden, doch es mutet jetzt wie Realsatire an, wenn unter dem riesigen Außenrelief nun klein und bescheiden das neue „Firmenschild“ glänzt: Universität Leipzig. Hauptgebäude.
Die Uni hat ein weiteres Finanzproblem. Als Rechtsnachfolgerin der KMU würde sie für einen „Vertragsbruch“ (Ruddigkeit), der bei einer Entfernung bestünde, teuer bezahlen. Urheberrechtlich geschützt, meint Professor Ruddigkeit , „würde das mehr kosten, als je an Honorar gezahlt wurde“.
Ami-Gerücht hält sich hartnäckig
Auch hierbei kann Professor Wartenberg kein offizielles Universitäts- Statement abgeben. Das Relief sei ein Staatsauftrag gewesen. Entschädigung müßte damit vielleicht gar nicht zwingend gezahlt werden.
Diskutiert wird in Leipzig weiterhin das sogenannte „Amerika-Gerücht“: Bedeutendes Museum oder millionenschwerer Privatmann kauft das Relief und bezahlt Entfernung und Abtransport in die Staaten. Nach Meinung Professor Ullmanns bestünde darüber hinaus der Vorteil, daß bei einem Kauf durch ein Museum der Wert des Kunstwerkes als Zeitdokument gewahrt bliebe. Der Erlös würde dazu die finanzielle Sorgenlast der Uni gewaltig mindern.
Der millionenschwere Privatmann andererseits birgt für Frank Ruddigkeit unannehmbare Risiken. Nach dem reißenden Absatz von Teilen der Mauer in Amerika ist die Gefahr groß, daß das Relief in einer Kuriositätensammlung verschwinden würde. Die Universitätsleitung zeigt hier endlich kulturelle Größe und Entschlossenheit. Keine Gespräche und schon gar keine Kaufangebote, beteuert Prorektor Wartenberg, habe es gegeben. Ganz im Gegenteil: „Der Zeitzeuge für künftige Generationen“ soll im Besitz der Uni bleiben und einen „angemessenen Raum in der Öffentlichkeit bekommen“.
Die Betrachtung von DDR- Kunstwerken unter dem Primat der Politik sollte dabei abgelöst werden durch eine Diskussion mit gleichberechtigten ästhetischen, politischen und juristischen Aspekten. Insofern ist die, aufgrund von Sachzwängen und beginnender Ent-Emotionalisierung noch nicht entschiedene, Zukunft des Reliefs ein Anfang.
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