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Fotograph vor Gericht erfolglos

■ Richter rieten Burwitz, sich mit der „Zensur" seiner Fotoausstellung abzufinden

„Es ist ein seltener Glücksfall für Sie, daß die Gegenseite noch keinen Anwalt beauftragt hat. Man kann jetzt noch kostengünstig aus dem Gerichtsverfahren aussteigen.“ Mit derartigen Engelszungen versuchte gestern der Vorsitzende der 1. Zivilkammer den Fotojournalisten Helge Burwitz dazu zu bringen, seinen „Antrag auf einstweilige Verfügung“ gegen die Stadtbibliothek zurückzuziehen. „Sie haben wenig Aussicht, mit ihrem Antrag durchzudringen“, sprach der Richter Klartext. Helge Burwitz verstand und zog seinen Antrag zurück.

Nach Ende des Prozesses baute Burwitz die umstrittene Foto- Ausstellung in einer Nische neben dem Gerichtssaal auf. Darunter auch das Foto, das den Rechtsstreit ausgelöst hatte. Bei seiner Foto-Serie handele es sich um ein „gesetzlich geschützes Kunstwerk“, beharrte Burwitz auch im Nachhinein. Daraufhin sagte ihm erbost Gerhard Baisch, der Anwalt der abgelichteten Friederike R.: „Man kann nicht am Nacktbadestrand von Korsika nackte Frauen fotografieren und hinterher einfach behaupten: 'Das ist Kunst.'“

Die Vorgeschichte des Streits: Im Sommer 1990 hatte die Klasse 4b der Lessingschule Abenteuer des Barons von Münchhausen auf die Bühne gebracht. Helge Burwitz, Vater einer beteiligten Schülerin, hatte ebenso wie andere Väter fotografiert. Was Burwitz von anderen Vater-Fotografen unterschied: Er knipste vor allem die zehnjährigen Mädchen und dies bevorzugt hinter den Kulissen. Und er verabredete mit der Leiterin der Stadtbibliotheks-Filiale das Ausstellen seiner Fotos. Wobei die Leiterin der Stadtbibliothek davon ausging, daß Burwitz sein Vorhaben mit den Eltern der 4b abgestimmt hatte. Bei der Ausstellungs-Eröffnung kam es zum Eklat. Die damalige Elternsprecherin Ada Kußerow zur taz: „Von öffentlicher Ausstellung war nie die Rede gewesen. Und Zweidrittel der Bilder zeigen Mädchen. Die Aufführung bekommt durch die Fotos einen Lolita-Touch. Ich möchte auch nicht, daß meine Tocher halbausgezogen im Viertel aushängt.“ Eines der Fotos, das die Mutter Friederike R. beim Schminken ihrer leichtbekleideten 10jährigen „Haremsdame“ Meike zeigt, hatte Burwitz für das Ausstellungsplakat verwandt und ohne ihr Einverständnis im Steintor plakatiert.

Da Helge Burwitz sich nicht bereit erklärte, einen Rückzieher zu machen, hatte Friederike R. sich mit ihrer Bitte an die Leiterin der Stadtbibliothek gewandt. Die hatte die Ausstellung abgehängt. Mit dem Eilverfahren vor Gericht hatte Burwitz die Stadtbibliothek gestern zwingen wollen, die Bilder wieder aufzuhängen.

Die ehemalige Elternsprecherin begann gestern nach der Verhandlung, zwischen den Parteien zu vermitteln. Gelingt ihr das nicht, werden demnächst sowohl die abgelichtete Mutter Friederike R. als auch der Vater-Fotograf Helge Burwitz die Gerichte (wieder) anrufen. Die eine, weil sie das Foto nie wieder in der Öffentlichkeit sehen will, der andere, weil er seine Ausstellung noch möglichst oft „und in anderen Städten“ zeigen will. B.D.

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