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Nach dem Rohwedder-Mord

■ Warum in der Auseinandersetzung zwischen RAF und Staat beide Seiten nicht weitermachen können wie bisher

Ein Hauch von Resignation lag über der Szene, als Alexander von Stahl und Klaus Kinkel am Abend nach dem Mord an Detlev Rohwedder vor die Kameras traten. Man habe keine Ahnung, gestanden Justizminister und Chefankläger der Republik, wer da geschossen habe. Seit fast einem Jahrzehnt sucht der hochgerüstete Staat vergeblich nach verwertbaren Spuren der Attentäter, die ein oder zweimal im Jahr Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik ins Visier nehmen. Selbst das Fahndungsplakat des Bundeskriminalamtes zeigt acht Köpfe, bei denen kein Mensch wirklich sicher sein kann, daß sie der RAF überhaupt noch angehören. Inzwischen äußern die frustrierten Fahnder öffentlich Zweifel, ob die Vorstellung von der sogenannten Kommandogruppe im Untergrund überhaupt noch die Realität trifft.

An mehr oder weniger wohlmeinenden Ratschlägen herrscht kein Mangel. Die einen wollen das RAF- Umfeld genauer abchecken, die anderen die gute alte Rasterfahndung wiederbeleben oder V-Männer einschleusen. Wieder andere glauben, in leicht angestaubten Stasi-Akten auf aktuelle RAF-Aktivisten stoßen zu können, und aus Bayern kommt der Vorschlag, erstmal den Kontakt zwischen RAF-Gefangenen und ihren Anwälten auszudünnen. Gemeinsam ist den sprudelnden Ideen zur polizeilichen Lösung des Problems nicht nur ihre rechtsstaatliche Fragwürdigkeit, sondern auch ihre Hilflosigkeit. In 'Bild‘ glänzt ein „profilierter Kenner der Terroristenszene“ mit Hinweisen auf die wahren Schuldigen für die chronische Erfolglosigkeit des Apparats. Der Anonymus (es wäre eine Überraschung, wenn es sich nicht um den früheren BKA-Chef Herold handelte) nennt den Ex-Datenschützer Hans-Peter Bull, der dem BKA 1980 mit der „vorsorglichen Umfeldüberwachung“ aus politischen Motiven das wichtigste Instrument im Kampf gegen die RAF aus der Hand geschlagen habe — unter der Verantwortung des damaligen Innenministers Gerhart Baum (FDP).

Die Qualität dieser und anderer aufgeregter Wortmeldungen legt die Vermutung nahe, daß die Dimension des Dilemmas immer noch nicht zur Kenntnis genommen wird. Die RAF- Aktivisten haben ihre Lektion aus früheren Niederlagen bestens gelernt. Sie hinterlassen keine Spuren mehr, und das wird für künftige Gerichtsverfahren Folgen haben, die offenbar niemand im Sicherheitsapparat und noch viel weniger in der Politik sich vorzustellen vermag. Kein Zweifel, irgendwann werden die Fahnder — und sei es durch Zufall — stolz die eine oder andere Festnahme aus dem Kreis der Verdächtigen präsentieren. Doch was passiert danach? Keiner der Anschläge der letzten Jahre ist bestimmten Tätern zuzuordnen. Die Karlsruher Ankläger können nicht einmal sagen, wann sich wer der RAF angeschlossen hat. Also: Wofür soll jemand verurteilt werden, wenn er oder sie nicht am Tatort gestellt wird? „Dann“, sinnierte vergangene Woche ein hochrangiger Politiker in Bonn, „hilft nur noch der Paragraph 129a“. Der reicht erstmal für zehn Jahre. Vorausgesetzt, der oder die Festgenommene bekennt sich zur Mitgliedschaft in der RAF. Sollen darüber hinaus auf dem dünnen Eis sehr dünner Indizien bestimmte Anschläge umstandslos dem „Zufallsfang“ zugerechnet werden? Schon in der Vergangenheit scheiterten die Gerichte mehrfach bei ihren Versuchen, RAF-Attentate im Prozeß zu rekonstruieren. Brigitte Mohnhaupt hat nicht, wie es in ihrem Urteil steht, den Bankier Jürgen Ponto erschossen. Und ob sie 1981 während des Panzerfaust-Angriffs auf General Kroesen überhaupt im Lande war, ist mehr als fraglich. Dafür verurteilt wurde sie trotzdem. In Zukunft, soviel scheint sicher, wird die Gefahr von Fehlurteilen in diesem Bereich noch größer. Und: Zweifelhafte Richtersprüche produzieren neue Solidarisierungen. Der Kreis schließt sich.

Schon aufgrund dieses Szenarios denken alle zu kurz, die seit nunmehr zwei Jahrzehnten in bemerkenswerter Phantasielosigkeit glauben, das „Problem RAF“ mit polizeilichen oder militärischen Mitteln vom Tisch zu kriegen. Für eine politische Lösung dagegen wäre die erste Voraussetzung, daß man anfängt die Motive der RAF und der Gefangenen ernstzunehmen, und seien sie noch so kalt kalkuliert. Da die aktiven Kader buchstäblich nicht greifbar sind, muß in erster Linie auf die Signale der Gefangenen reagiert werden. Deren Äußerungen seit dem letzten Hungerstreik belegen glaubhaft vor allem eines: Sie haben die Schnauze nach bis zu zwanzig Jahren Haft restlos voll. Und sie wissen, daß es für sie nach Stand der Dinge nur zwei gleichermaßen „unattraktive“ Alternativen gibt: Entweder sie verlassen den Knast nach weiteren zehn, zwanzig oder mehr Jahren in einer Kiste oder sie gestehen sich und anderen, daß sie für nichts als einen Irrtum jahrelang schwer gebüßt haben. Für Aussteiger lautet die Perspektive Begnadigung oder 15 plus X Jahre statt lebenslang.

Der zehnte Hungerstreik war Teil der Suche der Gefangenen nach einem dritten Weg. Die Zusammenlegung sollte gruppenintern die Möglichkeit einer Einigung über diesen Weg erst eröffnen (und damit die der Freiheit, was oft absichtsvoll als erster Schritt für eine gewaltsame Befreiung mißverstanden wird). Ziel war es, revolutionäre Politik und die eigene „politische Identität“ zu retten, aber gleichzeitig das Mittel der individuellen Gewalt im revolutionären Kampf zur Disposition zu stellen. Das war — immer aus der Perspektive weitgehend isolierter Gefangener — schon damals schwer genug, denn die Kehrtwende hätte nach draußen vermittelt werden müssen, ohne darüber die revolutionäre Basis zu verlieren. Ohne Zusammenlegung war und ist eine Einigung schon wegen der Isolation untereinander nicht möglich.

Alles Hirngespinste? Noch im September 1990 schrieb die Gefangene Eva Haule in einer in der taz veröffentlichten Erklärung von der Notwendigkeit einer „strategischen Neuorientierung“ nach „20jähriger Kampfgeschichte“. Allerdings bleibe „die ungebrochene Vernichtungsstrategie gegen uns Gefangene (gemeint ist die Verweigerung der Zusammenlegung, G. R.) objektiv eine Verpflichtung, den Kampf auch bewaffnet zu führen“. So eng ist der Mord von Düsseldorf trotz allen deutschlandpolitischen Wortgetöses in der Kommando-Erklärung mit der Haftsituation der Gefangenen verknüpft. Inzwischen haben sich die äußeren Bedingungen aus der ideologischen Perspektive der Gefangenen dramatisch verändert: Die „imperialistische Führungsmacht“ hat ihre Weltmachtposition mit einem blutigen Krieg ausgebaut, im Osten Deutschlands braut sich eine soziale Krise zusammen, wie es sie seit der Gründung der RAF hierzulande nicht gab. In einer solchen Situation die aktive RAF und die Anhänger draußen aufzufordern, die Waffen niederzulegen, käme für die Gefangenen fast einem politischen Selbstmord gleich.

Auch wenn es eine Woche nach dem Anschlag provozierend klingen mag: Neben Paranoia und Weltfremdheit gibt es in der RAF ein pragmatisches Kalkül, das die Drohung mit immer neuen Anschlägen zugunsten der Gefangenen auf die Waagschale werfen will. Es kollidiert zunehmend mit dem Anspruch der RAF, sich anderen „revolutionären Gruppen“ zu nähern. „Die revolutionäre Bewegung muß eine menschliche Perspektive entwickeln und dadurch zur Anziehung für alle werden, die dieses System als Unterdrückung erfahren.“ Wer, wie das „Kommando Ulrich Wessel“, so etwas schreibt, muß eigentlich wissen, daß der Schuß in den Rücken eines Menschen eher geeignet ist, potentielle Träger der „revolutionären Bewegung“ zu vertreiben als anzulocken — jedenfalls, wenn er zwei und zwei zusammenzählen kann.

Eine reale Chance kann es allerdings nur geben, wenn die Politiker endlich den Mut aufbringen, in Sachen RAF auch mal als Politiker zu denken und zu handeln und nicht stur als Polizisten oder Militärs. Das bedeutet: Zusammenlegung der Gefangenen in großen Gruppen und verstärkte Bemühungen um Kontakte mit den aktiven RAF-Kommandos. Das Ganze vor dem nächsten Attentat und vor dem nächsten Hungerstreik. Der Versuch ist es wert. Initiativen ohne Risiko des Scheiterns gibt es nicht. Gerd Rosenkranz

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