Ein fast gleichgültiger Verein

Nachruf auf den aufgelösten Schriftstellerverband der DDR/Endlich  ■ Von Rüdiger Rosenthal

Der Schriftstellerverband der Ex- DDR hat sich aufgelöst. Endlich, stöhnte ich erleichtert. Ein dunkles Kapitel der Kulturgeschichte ist beendet.

Daß dieser Verein ein „Club zur Verteilung von Auslandsreisen, Ferienplätzen, Stipendien und anderen Sinekuren, eine überflüssige Organisation, die keine müde Mark wert ist“ (Günter Kunert) war, pfiffen die Spatzen von den Dächern. Trotzdem haben ähnlich wie bei der SED/PDS einige im politischen und kulturellen Bereich tätige Bekannte der Versuchung nicht widerstehen können, auch dieser Leiche noch einmal Leben einzuhauchen. Das Gespenst ließ sich nicht wiederbeleben. Von seinem toten Odem haben bis zuletzt nicht wenige gezehrt. Schade um jede Anstrengung, die so vergeudet wurde. „Im Auftrag der Arbeitsgruppe zur Verbandsgeschichte“ schrieb mit der Lyriker Heinz Kahlau Mitte 1990 in einem Brief: „In unser aller Leben ist herumregiert worden und auch unsere Werke sind davon geprägt. So unterschiedlich unsere Ansichten darüber sind, in einem meinen wir einig zu sein: Wir sollten behutsamer miteinander umgehen als bisher.“

Furchtbar, dachte ich, schon wieder diese Gleichmacherei, dieses kollektive „Wir“, diese gemeinschaftliche Betroffenheit, dieses vorbeugende Nivellieren von Auseinandersetzung und notwendigem Streit.

Mehrere Fragen hat man mir zu beantworten gegeben:

1.Sind Sie in Ihrer literarischen Arbeit durch Verbote, Maßregelungen, entstellende Eingriffe, Drohungen usw. behindert, geschädigt oder dem Versuch der Erpressung ausgesetzt worden? (Von welchen Personen oder Institutionen ging dies aus? Sind Ihnen die Gründe oder Begründungen bekannt?)

Getreu der Volksweisheit „Es gibt keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten“, antwortete ich selbstverständlich nicht. Oder sollte ich etwa die umfangreichen „Repressalien“ aufzählen, die Denunzianten denunzieren und meine „Heldentaten“ schildern, bei denen ich ganz genau wußte, daß ich mir damit die Verfolgermeute auf den Hals hetzte?

2.Haben Sie sich um Hilfe an den Schriftstellerverband gewandt?

3.Ist Ihnen die Hilfe gegeben worden?

Ja, ich schäme mich heute ob meiner Blödheit, mich an diesen Verein um Hilfe in der einen oder anderen Sache gewandt zu haben.

Nicht ein Jota Hilfe habe ich von ihm bekommen und ahne schon, daß ich meinen Verfolgern — die natürlich ihre Zuträger im Schriftstellerverband sitzen hatten — selbst die Munition lieferte, mit der sie mich abzuschießen trachteten.

Mit ähnlichen Fragen ging dann der Brief noch weiter, ich sah mich jedenfalls durch ihn nicht veranlaßt, in lautes Wehklagen über die verpaßten Chancen des Verbandes einzustimmen. Das mag daran liegen, daß er mir egal war, seit im Juni 1979 jene Mitglieder und Autoren aus ihm ausgeschlossen wurden, die einigermaßen lesbare Literatur schrieben. Für mich persönlich halte ich diesen Bruch damals für heilsam, raubte er mir doch sämtliche Illusionen über einen möglichen „Marsch durch die Institution“ Schriftstellerverband. In den Jahren danach konnte ich mich darauf konzentrieren, in unabhängigen politischen und kulturellen Bereichen tätig zu sein, anstatt von einer Reformierung der offiziellen Kultur zu träumen und Kräfte dabei zu verlieren.

Das Ende des Verbandes berührt mich aber tatsächlich an zwei kleinen Stellen: einmal ist es schade um den Verlust des schönen Schriftstellerbegegnungsheimes in Petzow, wo es einen Kuchen gab, der schmeckte „wie bei Muttern“ (vielleicht können ihn jetzt Touristen genießen). Und zum anderen lese ich, daß die Akademie der Künste das Verbandsarchiv übernommen hat. Wie in den SED- und Stasi-Akten läßt sich vielleicht an diesen Werken ein Stück echter und wahrhaftiger Geschichtsschreibung wichtiger Kapitel mitteleuropäischer Kulturpolitik ablesen.

„Daß ein Berufsstand mit einmaligen geschichtlichen Erfahrungen und etlicher professioneller Kapazität seine Interessenvertretung verliert, wird allenfalls bedauernd zur Kenntnis genommen“, schrieb 1990 der letzte Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Rainer Kirsch. Ja, wenn es denn so gewesen wäre...