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Emigranten im Behördendschungel

■ Der Bezirk Wedding weigert sich, 44 sowjetischen Juden Sozialhilfe zu bezahlen/ Landesamt für Soziale Aufgaben will Umzug nach Lichtenberg/ Juden weigern sich

Wedding. Der strahlengeschädigte zwölfjährige jüdische Junge aus Tschernobyl, Andrey J., und die 23jährige Jüdin Svetlana H. haben Glück im Unglück. Weil der Weddinger Sozialstadtrat Hans Nisblé (SPD) sich weigerte, den beiden die unbedingt benötigten Krankenscheine auszuhändigen (siehe taz v. 10. 4.), sprang jetzt der Bezirk Charlottenburg ein. Sozialstadtrat Udo Maier (SPD) hat sich schließlich gestern bereit erklärt, für sie und ihre Familien alle Kosten, einschließlich der Unterbringung in Charlottenburger Heimen zu übernehmen.

Unklar hingegen ist weiterhin die nähere Zukunft der restlichen 44 sowjetischen Juden, die über den Umweg Israel während des Golfkrieges nach Berlin einreisten, und denen der Bezirk Wedding seit dem 31. März keine Sozialhilfe mehr bezahlt. Dieser kleine Personenkreis scheint jetzt ein Opfer der Bürokratie zu werden. Obwohl die Sozialstadträtin von Spandau, Renate Mende (SPD), als auch die Kreuzberger Stadträtin Junge-Reyer (SPD) sich seit Ostern bereit erklären, die im Wedding nicht geduldeten Menschen in ihren zum Teil freistehenden Heimen aufzunehmen, besteht das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben (LaSoz) auf einem Umzug von Wedding nach Lichtenberg. Dorthin wollen die sowjetischen Juden aber nicht. Die Hochburg der Neonazis in der Weitlingstraße sei den Emigranten zu nah, erklärte das Anwaltsbüro Meyer/Rosenkranz, und das Heim in der Rhinstraße sei noch ohne Kochplatten und Duschen.

Gestern erschienen zwei von der LaSoz angemietete Busse vor den beiden Weddinger Heimen in der Böttger- und Hussitenstraße, um die sowjetischen Juden nach Lichtenberg zu bringen. Alle Überredungsversuche von Vertretern der Arbeiterwohlfahrt, des Bezirkes als auch des LaSoz blieben aber erfolglos: Kein Jude bestieg den Bus. Endgültig entschieden wird die Angelegenheit vermutlich heute auf einer kurzfristig anberaumten Konferenz aller Sozialstadträte. Spandau und Kreuzberg werden weiterhin ihre grundsätzliche Aufnahmebereitschaft erklären, sie erwarten eine dementsprechende positive Entscheidung des zuständigen Staatssekretärs der Sozialverwaltung, Armin Tschope (SPD). Hans Nisblé hingegen, aber auch, nach Nisblés Angaben, der Neuköllner Sozialstadtrat H.D. May (CDU) sind der Meinung, daß die Aufnahme der »israelischen Touristen« ein Affront gegenüber Israel bedeute und daß es für die Gewährung von Sozialhilfe seit dem 31. März keinerlei Rechtsgrundlagen gäbe. aku

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