»Die DDR-Kollegen waren farblos«

■ Der Jurist Dieter von Stebuth von der Technischen Universität beobachtete an der Humboldt-Universität das Ringen seiner Kollegen und Studenten um eine erneuerte Hochschule

taz: Warum sind Sie an die Humboldt-Universität gegangen?

Dieter von Stebuth: Weil es ein Jahrhundertereignis war. Acht Jahre war ich an der FU, später dann an der TU. Jetzt das Gespräch mit DDR- Studenten und Kollegen zu führen, daß war schon aufregend. Es wäre ein Fehler gewesen, sich das entgehen zu lassen.

Welche Vorstellungen hatten sie von der Humboldt-Universität?

Von den Studenten zunächst gar keine. Bei den Hochschullehrern dachte ich, daß sie es schwerhaben würden und jetzt versuchen, mit einer Mischung von Verteidigung und Hilflosigkeit, daß Beste draus zu machen. Ich hatte unmittelbar nach der Wende einige Erfahrungen mit Kollegen auf einer Veranstaltung über „Existenzgründungen in der DDR“ gemacht. Wir haben damals gedacht, daß man jetzt aufarbeiten muß, was erhaltenswert ist, wobei die DDR- Kollegen ziemlich optimistisch waren. Ich habe gesagt, daß sie vorläufig keine Chance haben werden.

Was haben Sie dann an der Uni erlebt?

Die DDR-Kollegen wirkten auf mich erschreckend grau, farblos, was auch daran lag, daß sie sich so zurückhielten. Das änderte sich dann sehr schnell. Es war zu Beginn ein recht bürokratischer Haufen.

Wie entwickelte sich das Klima zwischen West- und Ostkollegen?

Zu Beginn war es extrem reserviert, wobei ich immer wieder meine Hochachtung den DDR-Kollegen aussprechen muß. Die haben sich ja in meine Vorlesung, in die Anfänger- Vorlesung BGB, gesetzt. Das kostete sie natürlich Selbstüberwindung. Die stabileren Charaktere saßen ungeniert in der ersten Reihe. Andere, die etwas unsicher waren, versteckten sich oben in der Galerie.

Wie wurden Sie von den Studenten angenommen?

Ich hatte den Eindruck, sie hatten mich zu sehr angenommen. Die haben ihren DDR-Lehrern nichts mehr geglaubt. Ich dagegen konnte sagen, was ich wollte. Die wollten auch gar nicht reflektieren oder differenzieren, die wollten das westliche Heil, auf eine erschreckend frühkapitalistische Weise. Die hatten gelernt, Sozialismus ist out, jetzt kommt Kapitalismus, man bereichert sich und wer Erfolg hat, hat recht.

Wie änderte sich das?

Wir haben relativ schnell angefangen uns auseinanderzusetzen, zu streiten. Dann wurden sie besser als die Studenten drüben. Sie waren engagierter, ungemein fleißig, haben dann auch ihre speziellen Probleme eingebracht. Zum Beispiel erzählten sie mir, das sie jetzt mehr für ihren Wohnheimplatz bezahlen müssen, statt 10 Mark sollten es 50 Mark sein. Erst wollte ich sie beschimpfen, aber dann berichteten sie, daß vier Leute in einem 14 Quadratmeter großen Zimmer wohnen und nur 260 Mark Stipendium bekamen. Das war für mich so ein Schlüsselerlebnis.

Sie haben praktisch über die Fachdiskussionen DDR-Alltag kennengelernt?

Das war notwendig, denn das, was wir vermitteln, basiert auf einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die wir als bekannt voraussetzen. Aber wenn ich als Robinson dem Freitag die Eisenbahn erklären will, muß ich das anders tun, als bei Ihnen. Ich merkte auch bald, daß wir zwar die selben Vokabeln benutzen, aber sich ein anderer Inhalt dahinter verbirgt.

Halten Sie den Gedanken der »Durchmischung« der Lehrkörper für umsetzbar?

Wenn man das Gegensatzpaar aufmacht, entweder vollständige Übernahme der Uni durch Westler oder »Durchmischung«, halte ich letzteres für die einzige Lösung. Denn selbst, wenn es genug qualifizierte Leute geben würde, brauchen wir die Erfahrung der DDR-Kollegen. Die sind ja teilweise ausgesprochen gut. Das Problem ist nur, nicht jeder, der gut ist, ist unbelastet und nicht jeder der unbelastet ist, ist gut.

Um das zu klären, bildete die Humboldt-Uni sogenannte Personalstruktur-Kommissionen. Welche Chance geben Sie diesem Weg?

Ich habe die Befürchtung, daß die Arbeit dieser Kommissionen oft die Rechtfertigung für den Rausschmiß von Leuten ist. In den Kommissionen wurden zum Teil alte Rechnungen beglichen. Es wurde also nicht nur danach gefragt, wer ist belastet, sondern: Wer war unsympathisch?. Meine Auffassung ist, untragbar sind Leute, die strafbare Handlungen oder Menschenrechtsverletzungen begangen haben, auch wenn die zu damaligen Zeitpunkt nicht strafbar waren. Wenn, aber jemand überzeugter Sozialist war, schließt das nicht unbedingt eine weitere Tätigkeit aus. Mit dem Merkmal belastet wird zum Teil auch viel Unfug getrieben. Wenn jemand sagt, ich habe zu dem System gestanden, und ich finde Sozialismus auch heute noch ideal, sollte er nicht abqualifiziert werden, nur weil er ehrlich ist.

Belastet dieser Prozeß den Studienbetrieb?

Ich weiß nicht, was man den Studenten besseres bieten kann, als die Teilnahme an dieser Auseinandersetzung. Ich halte das Abwicklungsverfahren, wie es der Humboldt-Uni aufgezwungen worden ist, für einen Rechtsnormmißbrauch.

Können Sie die Unterschiede zwischen Ost- und West-Uni auf den Punkt bringen?

Nur für meinen Bereich: Hier hat man Juristerei gelehrt, wie Theologie, es gab die Bibel, das eine Lehrbuch nämlich, den einen Kommentar man brauchte nicht zu diskutieren, man lernte dieses eine Lehrbuch, man brauchte nicht praktische Fälle noch und noch zu bimsen, weil man eine Vorgabe hatte. Man muß jetzt völlig umlernen, daß in unserem System viele verschiedene Meinungen gegeneinander streifen. Das ist ein ganz anderer Unterrichts- und Lernprozeß. Interview: Anja Baum