: „Roter Stern strahlt in voller Pracht“
Die jugoslawische Presse bejubelt den 2:1-Triumph der Belgrader im Hinspiel bei Bayern München Die Münchner und ihr Trainer haben nichts mehr zu verlieren, außer einem Versprechen an die Fans ■ Aus München W. Steigemann
Die Psychologie meint, sie sei die Wissenschaft der Seele mit all ihren Erscheinungen: der Wahrnehmung, dem Denken, dem Erinnern und dem Unbewußten. Und, wie alles empirisch nicht nachprüfbare, dient sie als Erklärungsmodell für angeblich unfaßbare Begebenheiten.
Eine solche ereignete sich in den Augen vieler Beobachter während des Europacupspiels des FC Bayern München gegen Roter Stern Belgrad. Ljubomir Petrovic, Trainer der Jugoslawen, sah ein „traum“- haftes Spiel. Sein Namenskollege, Präsident desselben Vereins, wollte gar einen 30 Jahre Komplex jugoslawischer Fußballer behandelt wissen durch die „psychologische Ankündigung“, daß die Seinen hier in München 2:1 siegen werden.
Psychologisch ungünstig beeinflußte auch der Ausgleich der Belgrader kurz vor Seitenwechsel die Psyche der Bayern, dozierte deren Trainer Heynckes, wobei er, in die Zukunft blickend, den Geist seiner Spieler frei jeglicher Belastung sah für das Rückspiel in Belgrad, da sie nichts mehr zu verlieren hätten als ein Versprechen. Was Petrovic (Trainer) zu der Bemerkung veranlaßte, daß er froh wäre, seine Mannschaft „mental so einzustellen, um dort ein Unentschieden zu erreichen“.
Unterlegene erklären gerne ihr Versagen metaphysisch, weil sie die Wirklichkeit freundlicher gestalten wollen. Aber Sieger sollten eigentlich Ursache und Wirkung deutlich erkennen können. Heimlich. Denn Gäste sind ja bescheiden. Leise, fast zu überhören, nannte deshalb Petrovic (diesmal der Präsident) die Gründe des 2:1-Sieges: „Ich kenne keine Mannschaft, die besser spielen kann als die meine am heutigen Abend.“
Was natürlich etwas übertrieben erscheint, denn wirklich wurzelt der Erfolg in einfacher Physik: Jeweils elf Menschen treffen sich, um einen Körper mit Aufwand von Energie auf ein bestimmtes Ziel hin zu bewegen. Für die Effizienz dieser Bewegung sind Kraft, Masse, Beschleunigung, Dreh- und Trägheitsmoment sowie Winkelfunktion wichtig.
Darüberhinaus sind die Energiegeber, in unserem Falle die Fußballspieler, mit ihren Fähigkeiten verantwortlich, wie dieser Körper sinnvoll bewegt wird. Und diese Fähigkeit, in der Fußballsprache vereinfacht als Technik bezeichnet, ist bei den Bayern empirisch gesehen wesentlich kleiner als bei den jugoslawischen Spielern, was bei letzteren einen besseren Wirkungsgrad der aufgewandten Energie erzielt und somit Erfolg.
Vielleicht war dies den Münchnern bewußt, da sie in der ersten Hälfte des Halbfinalspiels im Fußball-Europacup der Landesmeister ein Mehr an Energie aufbrachten, um die obigen Defizite auszugleichen. Sie rannten, stolperten und manchmal spielten sie auch. Daraus entsprang ihre 1:0-Führung, die Roland Wohlfarth bewerkstelligen durfte. Und hätten die Münchner auf dieser ihr ureigensten Ebene weitergemacht, eventuell und psychologisch wäre dann ein zweites Tor geglückt. Leider dachten sie aber, man könne ebenso Fußball spielen wie die Jugoslawen. Die jedoch erkannten, daß auf der linken Seite der Münchner, personifiziert mit den Namen Pflügler und Bender, zwar viel Energie, aber wenig Können vorhanden ist.
Pflügler, eigentlich Verteidiger, trieb sich, losgelöst ob seiner Aufgabe, als Stürmer sinnlos in der Belgrader Hälfte herum. Bender, von seinem Trainer wegen überraschender Momente gerühmt, hielt sich für einen Fußballspieler, der es nicht nötig hat, auch defensiv zu agieren. Der Ausgleich der Belgrader verwunderte dann auch niemanden, zumal das Trägheitsmoment der Münchner Innenverteidigung sich selbst bis zum Balkan herumgesprochen haben dürfte.
Obwohl verdient, psychologisch gesehen war er schon verheerend, der Ausgleich der Jugoslawen so kurz vor der Halbzeit. Jeder, der selbst einmal Fußball spielte, kennt dies, erzählte Heynckes. Außerdem: Warum gab der österreichische Schiedsrichter den Bayern keinen Elfmeter bei klarem Handspiel im Strafraum und nur Eckball? Der führte zwar zu einem Tor, das aber wiederum nicht anerkannt wurde. Der Objektivität halber sei erwähnt, es war ein korrekter Treffer für die Bayern. Die aber, ihre letzte Energie aufwendend, verfluchten ihr Schicksal, währenddessen der Beste der Belgrader, Savicevic, die Führung zum 2:1 erzielte.
Die Münchner Abwehr, soweit vorhanden, stand etwas unkoordiniert und träge. Selbst diejenigen Laudrup oder Thon vernachlässigten daraufhin ihre Kenntnis der Fußballphysik, so daß Ausgleichschancen nur noch dem Zufall entsprangen. Es waren aber nicht allein die technischen Mängel der Münchner, die den Erfolg der Belgrader ermöglichten. Die jugoslawische Elf zeigte alles, was zu einem guten Fußball gehört: Eine robuste Hintermannschaft, ein überragendes Mittelfeld mit dem blonden Jüngling Prosinecki und einen Stürmer Pancev, der trotz relativer Bewegungsarmut („Ich bin nicht geboren um zu laufen, sondern um Tore zu schießen.“) genau weiß, was seine Mitspieler für ihn vorbereiten.
So mußte auch Jupp Heynckes die Überlegegenheit des Gegners anerkennen. Doch psychologisch gesehen sind die Mannen aus Belgrad im Rückspiel schlechter dran, weil sowieso jeder ihr Weiterkommen erwartet und die Physik mit ihrer Bewegung von Körpern läßt noch Hoffnung für Raum und Zeit.
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