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Begräbt DDR-Gutachten Deponie?

■ Bürgerinitiativen und Grüne setzen auf Expertise aus DDR-Zeiten, die belegen soll, wie ungünstig der Standort Schönberg für eine Mülldeponie ist/ Lübeck in Fließrichtung des Schönberger Grundwassers

Lübeck (taz) — Drei unabhängige Gutachten, die von den Grünen und der Stadt Lübeck in Auftrag gegeben wurden, konnten den Betrieb von Europas größter Gift- und Hausmülldeponie in Schönberg nicht stoppen. Mehr Erfolg erhoffen sich die Bürgerinitiativen und die Lübecker Grünen nun von einem bislang geheimgehaltenen DDR-Gutachten, das sie gestern in Lübeck der Presse vorstellten.

Dabei sind die Schlußfolgerungen dieses 1988 von zwei Schweriner Geologen erstellten Gutachtens zur „hydrogeologischen Situation im Umfeld der Deponie Schönerg“ keineswegs bedrohlich für den Deponiestandort. „Wie auch?“, so gestern ein mittlerweile auf Kurzarbeit gesetzter Geologe aus der Ex-DDR. Wer etwas werden beziehungsweise bleiben wollte, habe unter der SED- Regierung zu den gewünschten Ergebnissen kommen müssen, sagte er. Er zeigte sich daher nicht über die Widersprüche zwischen dargelegten Fakten und gezogenen Schlußfolgerungen verwundert. Nun nähren eben jene Fakten bei den Deponie- GegnerInnen neue Hoffnungen.

So preisen die Gutachter Löffler und Krüger Schönberg geradezu als Glücksfall für jede Deponie, weil dort eine „seltene Standortsituation mit mächtigen Ton- und Schluffvorkommen an der Oberfläche“ vorliege, welche die „praktische Undurchlässigkeit des Deponieuntergrundes und den Schutz des Grundwassers“ belege. Auf den 50 Seiten davor finden sich jedoch Aussagen, die in krassem Gegensatz zu den Verlautbarungen stehen, die bisher die Unbedenklichkeit der Müllkippe unterstreichen sollten. So ist von einer Barriere, die Lübeck gegen den Zustrom von eventuell verseuchtem Grundwasser schützen soll, nicht die Rede. Stattdessen wird von einer mittel- bis feinsandigen Schicht von 70 bis 90 Meter Mächtigkeit gesprochen, die im Bereich der „Staatsgrenze“ den Hauptgrundwasserleiter des Raumes Schönberg/Dassow/ Lübeck bilde. Dabei ist die Fließrichtung des Grundwassers genau auf Lübeck gerichtet. Die Wasserförderung im Lübecker Raum habe zu einem Absenkungstrichter im Grundwasser geführt, der 10 bis 15 Kilometer auf ehemaliges DDR-Gebiet reiche, konstatieren die Gutachter. Und während bisher stets behauptet wurde, im Bereich des Ilenberges, an dessen Hängen der Müll abgekippt wird, gebe es überhaupt kein Grundwasser, ist in dem Gutachten sogar von drei Grundwasserverseuchungen die Rede. Hohe Chlorid- und Ammoniumgehalte an zwei Meßpunkten können sich die DeponiegegnerInnen nur durch den Einfluß der Müllkippe erklären. Zwar könnte das Chlorid auch aus Salzstöcken im Untergrund stammen, das Ammonium jedoch deute auf Vergährungsprozesse in der Deponie hin, so gestern Günter Wosnitza von den Lübecker Grünen.

Er und seine MitstreiterInnen wollen mit der Veröffentlichung des Gutachtens nun erreichen, daß die Deponie, die zu DDR-Zeiten überall umstritten war, nicht langsam vergessen wird. Mit der Vereinigung scheint Schönberg plötzlich zur respektablen Deponie geworden zu sein. Die Stadt Lübeck hat ihre Klagen gegen die Transportgenehmigungen nach Schönberg eingestellt, Hamburg hat seinen Liefervertrag im vergangenen Herbst bis 1997 verlängert und mittlerweile landet sogar Hausmüll aus dem 800 Kilometer entfernten Starnberg im Mecklenburgischen.

In Schönberg wiederum denkt man jetzt eher über Erweiterung als über Schließung nach. Am Ball sind dabei wieder diejenigen, die vor zehn Jahren ohne Gutachten dafür sorgten, daß Schönberg zum Klo Europas wurde. Und allein diese Tatsache schafft bei den Betroffenen so viel Mißtrauen, daß auch positive Gutachten die Meinung der Bürger kaum ändern könnten. Kai Fabig

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