Die Kunst des Köderns

■ »Ausschau ‘91«, Ausstellung der Karl-Hofer-Stipendiaten im Haus am Lützowplatz

Die ästhetische Wahrheit hat mit der Behandlung des vom Künstler gebrauchten Materials zu tun — nichts mit Themen, bösen oder freundlichen Absichten. Das verkannt zu haben ist der Fehler des sozialistischen Realismus, der den Proletkult verriet; von der totschlagbereiten Innigkeit des plakativen Nazi-Akademismus zu schweigen. [...] Moderne Kunst dokumentiert im Werk das Selbstbehaupten ihrer Autoren, die ihre Sache hinstellen, keine vorgegebene, verordnete. Diese Sachen stehen außerhalb industrieller oder verwaltungstechnischer Planungszwänge.«

So schrieb Professor Hermann Wiesler, Kunstwissenschaftler der HdK und Mitglied im Beirat der Karl- Hofer-Gesellschaft, 1985 im Katalog einer Ausstellung, fünf Jahre nach der Wiedergründung der Gesellschaft. Akademiegeschichte und der Standort in West-Berlin stimulierten wohl gerade zur Abgrenzung gegen die Feindbilder des Nazi-Akademismus und des sozialistischen Realismus. Wieslers Thesen von der »ästhetischen Wahrheit« im Primat des Materials und in der Selbstbehauptung des Künstlers entsprechen die Materialsensibilität und die Spuren der subjektiven Bearbeitung, die auch wieder die Ausstellung Ausschau ‘91 mit den 22 Karl-Hofer-Stipendiaten dieses Jahres prägen. Kunst bietet sich hier als Erfahrungshorizont an, der dem Alltag der Industriegesellschaft entgegensteht und seinen Mängeln sinnlich begegnet. Die synthetische Gegenwart selbst aber findet sich dabei kaum artikuliert, noch wird die Austauschbarkeit von künstlerischen und industriellen Produkten unter den Gesetzen des Marktes reflektiert.

Professoren der HdK, unter ihnen Wiesler, Galeristen und Ausstellungsleiter haben im Beirat der Karl- Hofer-Gesellschaft über die Atelier- Stipendien 89/91 entschieden und aus den 120 Bewerbungen ehemaliger HdK-Studenten 22 für die begehrten Atelierplätze ausgewählt; darunter befinden sich ungefähr ein Drittel Meisterschüler der Juroren. Doch daß in der Ausstellung Künstler fehlen, die mit Medien wie Fotografie oder Video arbeiten, konzeptuelle Ansätze und raumbezogene Arbeiten planen, mit Ready Mades oder seriell gefertigten Objekten umgehen, lag nicht nur an den Kriterien der Juroren, sondern auch an den Bewerbern. Ein auf abstrakte Malerei fixiertes Image der Hofer-Gesellschaft scheint Künstler anderer Medien von einer Bewerbung abzuhalten.

Zur meditativen Versenkung und zum Studium universeller schöpferischer Kräfte laden die Bilder von Claudio D'Ambrosio, Karl-Ludwig Lange, Simon Leonhard Dollinger und Christian Heinrich ein. D'Ambrosios sandige Arte Povera mit scripturalen Elementen atmet die Hitze und Trockenheit einer Landschaft. Christian Heinrich nutzt in seinen Collagen die auf den einfachsten Grundriß reduzierte Form eines Gewandes, um seiner Kunst die Aura einer Relique zu sichern. Dollinger inszeniert in seinem Triptychon Kathedrale den Farbverlauf als Stimmungsbild elementarer Energien. Ebenso wie er setzt auch Lange die Pathos-Formel des Triptychons für eine transzendente Aufladung seiner Bilder ein. In einer puristischen und fast monochromen Malerei läßt er die Kreuzform wie eine kaum greifbare Erscheinung aufschimmern. Drei Basaltlavabomben der Bildhauerin Susanne Specht erhalten vor dem Altarbild Langes eine ihnen fremde Weihe als kultische Objekte.

Auf einen anderen Kontext der Malerei und der Kunstgeschichte beziehen sich Beate Treptow und Jochen Stenschke in ihren vielteiligen Bildern, die von der Simultanität verschiedener Erfahrungsebenen ausgehen. Stenschkes Spiegelbild ist mit viel rot auf blaugraues PVC gemalt: krustiger Salzteig bildet eine Tastzone, mit Transparentpapier ist ein Bildfenster abgeteilt, durch das schemenhaft eine Figur fällt. Das Sehbare hat unterschiedliche Stadien der medialen Vermittlung durchlaufen; im Fühlbaren mischt sich authentisches Erleben und synthetisches; Ungleichzeitiges trifft aufeinander.

Eingezeichnet hat sich in die Ausschau ‘91 auch eine anhaltende Tendenz zu Archaismen. Die mit kalligraphischen Tuscheflecken angedeuteten Landschaften von Mario Radina auf transparentem Papier nehmen sich wie behutsam konservierte Bildhäute einer jahrhundertealten Kultur aus. In Katharina Bachs Bildobjekten erinnern mit Kupferdraht umwickelte Hölzchen zwar einerseits an elektronische Teile doch gleichzeitig mutet ihre handgemachte Unregelmäßigkeit wie ein Zeugnis aus einem Museum alter Handwerkskunst an. Das Bild wird bei Bach zum Aufladungsfeld, Speicher und Leiter für Energien. Ein ganzes Personal von Fetischen, in deren geometrisierten Körpern kleine Markierungen als figürliche Andeutungen genügen, entwirft Susanne Müller. Ihre Tante Katalunga, offensichtlich in einer matriarchalen Gesellschaft zur Macht gekommen, hat einen schlanken Holzleib, poliert wie von Generationen tastender Hände und ein lustiges punktäugiges Gesicht aus Blech.

Einzig Ulli Beckers ist es gelungen, in einen Seitenraum der 68er Galerie eine kleine Installation zu schmuggeln — Drei Sitzplätze des Verhaltensforschers —, in der sie die im Tierbild zur Schau gestellte Tierliebe mit dem naturfeindlichen Verhalten unserer Zivilisation konfrontiert. Die Klapphocker der Verhaltensforscher taugen ebensogut zum Beobachtungsposten wie als Ausguck der Jäger. Beckers sammelt und vervielfältigt die Formen schablonenhaft stilisierter Tiere auf Tapeten oder Küchenkrepp. In einer Vitrine liegt eine Mausefalle mit aufgedruckter Maus neben Fischködern in Fischform und tönernen Lock-Enten für die Entenjagd: das Imago des Tieres beschwört seine Anwesenheit herbei, aber nur, um es zu vernichten.

In Beckers Sammlung alltäglicher Tierobjekte arbeiten Kunst, Wissenschaft und die Ökonomie der Verwertung einander zu. Sie berührt damit einen Kontext der Bedeutungsverschiebung von Kunst, der deren Funktionen als Gegenbild zur entsinnlichten Welt überschreitet. Daß Kunst auch als Köder taugt und nicht nur in den von Ideologien besetzen Feindbildern Hermann Wieslers als Verführung funktioniert, wird allein von ihr thematisiert. Katrin Bettina Müller

Ausschau ‘91 , Ausstellung der Stipendiaten der Karl-Hofer-Gesellschaft im Haus am Lützowplatz, bis 21. April, di.-so. 11-18 Uhr.