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In Togo ist das Schweigen vorbei

Der Weg des westafrikanischen Togo von der „ruhigen“ Militärherrschaft zum allgemeinen Volksaufstand/ Ein Menschenrechtsanwalt fordert die Diktatur heraus/ Wenig Hoffnung auf einen friedlichen Übergang zur Demokratie  ■ Von B.Ratsch-Menke/G.Heide

Im Togo des Generals Gnassingbe Eyadema herrschte bisher eine Kultur des Schweigens. Politische Opposition wurde brutal unterdrückt und zeigte sich offen nur in Putschversuchen, die meist im Ausland vorbereitet wurden und sich daher leicht als Anschlag außengesteuerter Kräfte abtun ließen. Daß Eyadema sie alle „wundersam“ überlebte, nährte den Mythos seiner Gottgesandtheit.

Denn Eyadema gehört zu den dienstältesten seiner afrikanischen Kollegen. 1963 beseitigte er als junger Offizier den ersten Präsidenten des seit 1960 unabhängigen Togo, Sylvanus Olympio. Nachdem die Militärs zunächst einen zivilien Präsidenten eingesetzt hatten, putschte sich Eyadema 1967 ganz nach oben. Seit 1969 ist er zugleich Vorsitzender der „Sammlung des togolesischen Volkes“ (RPT), der Einheitspartei des Landes.

Was nach außen seitdem als Stabilität dargestellt wurde, ist die autokratische Herrschaft einer Elite, an deren Spitze Eyadema als idealisierte Vaterfigur steht. Ewig gleichtönende Propaganda ersetzt politischen Diskurs, jegliche Organisation an der Partei vorbei war lange unmöglich. Gesellschaftliche Institutionen wie traditionelle Stammesführer, Kirchen oder Gewerkschaften mußten der ideologischen Absicherung der bestehenden Herrschaft dienen. Dieses Herrschaftssystem wurde als typisch afrikanisch gerechtfertigt, dem Modell der traditionellen Könige entsprechend. Doch in dem Volk der Ewe — heute 40 Prozent der togolesischen Bevölkerung — stand den Königen immer eine beratende Versammlung von Dorfhäuptlingen zur Seite. Wesentliche Fragen wurden dort diskutiert mit dem Ziel, einen Konsens zu erreichen.

Mitte der 80er Jahre bekam der Mythos der friedvollen „Schweiz Westafrikas“ erste Risse. Es mehrten sich Berichte über die Verfolgung politisch Andersdenkender. So saß der ehemalige Handelminister Mba Kabassema drei Jahre und acht Monate ohne Anklage in Haft und anschließend drei Monate in der Psychiatrie des Krankenhauses von Aneho, weil er sich kritisch zur wirtschaftlichen und sozialen Lage Togos geäußert hatte. Auf die internationale Kritik reagierte Eyadema mit der Gründung einer staatlichen Menschenrechtskommission (CNDH). Ihr Leiter, Rechtsanwalt Yawo Agboyibor, nahm seine Aufgabe durchaus ernst. Ab 1989 wurde in Seminaren in den Kulturinstituten Frankreichs, der USA und der Bundesrepublik häufig Kritik an Regierungsmaßnahmen geübt.

Die Demokratisierungswelle, die im Frühjahr 1990 Westafrika ergriff, versuchte Eyadema zu ignorieren. Während im benachbarten Benin der Militärdiktator Kerekou bereits im Februar 1990 die Macht an einen „runden Tisch“ abgab, kündigte der Herrscher Togos lediglich an, auf einem Parteitag Ende 1991 über die Trennung von Staat und Partei zu diskutieren. Insbesondere Anwaltskreise drängten jedoch immer stärker auf Reformen; eine unabhängige „Togolesische Liga für Menschenrechte“ wurde im Juli 1990 gegründet. Die herrschende Militärkaste blieb ungerührt. „Wir werden für diese Mafia ein Lager einrichten, und ich versichere Ihnen: es werden sich einige Kugeln verirren“, erklärte ein pensionierter Oberst.

Als die staatliche Menschenrechtskommission im September letzten Jahres „straf- und disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen den Direktor der Sicherheitspolizei und seine Komplizen“ forderte, weil 13 kurz zuvor verhaftete Studenten gefoltert worden waren, bahnte sich eine erste Kraftprobe zwischen Regierung und Opposition an. Der Direktor der Sicherheitspolizei wurde entlassen, zwei noch inhaftierte Studenten kamen vor Gericht. Am ersten Prozeßtag, dem 21. September, schilderten sie ausführlich ihre Mißhandlungen; die Presse berichtete, der Fall entwickelte sich zur Staatsaffäre. Am 5. Oktober, dem Tag der Urteilsverkündung, schoß das Militär auf 10.000 Demonstranten in der Innenstadt von Lome. Bilanz nach Regierungsangaben: vier Tote; nach Berichten der Opposition kamen 17 Menschen ums Leben, 170 gerieten in Haft. Die beiden Studenten wurden derweil zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Dieses Urteil brachte wiederum die Anwaltschaft in Rage, welche einen dreitägigen Streik ausrief — der erste in Togo seit mehr als 20 Jahren.

Nun war die Kultur des Schweigens gebrochen. Eine Streikwelle erfaßte bis Ende November alle Regionen des Landes. „Sie haben unsere mageren Löhne seit drei Jahren eingefroren“, berichteten Hafenarbeiter in Lome der Presse. „Wenn man uns weiter wie Sklaven behandelt, werden die Schiffe im Hafen verfaulen. Wir bekommen 800 CFA (DM 1.20) am Tag, obwohl wir eigentlich ein Anrecht auf 3.000 CFA haben“.

Die Zeitung 'Courier du Golfe‘ beschrieb am 10. Dezember die Versuche der Regierung, der Aufruhrstimmung Herr zu werden. „Sie schossen mit scharfer Munition auf den Marktplatz und auf Straßenpassanten“, war über einen Armeeinsatz in der Stadt Vogan zu lesen. „Sie haben die Leute vor ihren Häusern angegriffen und sie bis in ihre Zimmer und an ihre Arbeitsplätze verfolgt. Einige Militärs haben sogar die Krankenstation durchkämmt.“ Am Strand von Lome fand man mit Handschellen gefesselte Leichen. Im Dezember trat Agboyibor von seinem Posten als Vorsitzender der staatlichen Menschenrechtskommission zurück: Er hatte Morddrohungen erhalten.

Seitdem kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. Ein erstes Zugeständnis der Regierung erfolgte im Januar: Die im November Verhafteten wurden amnestiert. Doch das verstärkte nur die Appelle an die Regierung, sich mit der Opposition an einen Tisch zu setzen und das Land geordnet in eine demokratische Zukunft zu führen. Die Militärherrscher aber stellten sich stur und verbreiteten lieber Schreckensszenarien über die Gefahr eines Bürgerkrieges. Im Falle einer politischen Destabilisierung, so die offiziell verbreitete Warnung, würde Togo den Weg Liberias gehen: Bürgerkrieg ohne Ende und Zerfall des Landes.

Dabei nutzte das Regime die Tatsache aus, daß Eyadema aus dem kleinen nordtogolesischen Volk der Kawye stammt. Dieses besetzt sämtliche Schlüsselstellungen des Staates und stellt 90 Prozent der Sicherheitskräfte. Die während der Kolonialzeit privilegierten Ewe-Bauern und Mina-Händler im fruchtbaren Süden hingegen sind in der gegenwärtigen Machtstruktur nicht vertreten. Ende 1990 wurde nach Angaben einer Oppositionszeitung „im engsten Kreise um den Präsidenten“ überlegt, mittels Provozierung eines Stammeskrieges die Militärherrschaft zu retten: Massaker an Kawye-Familien sollten durchgeführt und der Opposition angelastet werden; dann wäre die Weltöffentlichkeit von der Notwendigkeit einer starken Hand in Togo überzeugt und hätte sicher Verständnis, wenn die Regierung den Notstand ausriefe und Oppositionelle verhafte.

Im März wurde das Bürgerkriegsszenario Realität. Einen Tag nachdem sich zehn Oppositionsgruppen am 14. März zur „Front der Erneurungsverbände“ (FAR) unter dem Vorsitz des zur Leitfigur aufgestiegenen Yawo Agboyibor zusammenschlossen, begannen Großdemonstrationen in den Städten, von Plünderungen begleitet. Innenminister General Ameyi bestellte sofort Agboyibor zu sich. „Die Demonstranten zerstören öffentliche Gebäude und Fahrzeuge“, erklärte er dem Oppositionsführer. „Sie haben doch auch ein Haus und ein Auto.“ Noch in der Nacht wurde auf Agboyibors Grundstück Feuer gelegt. Am Morgen des 16. März wurde seine Villa durch eine Bombenexplosion zerstört, seine Frau von Unbekannten zusammengeschlagen.

Gleichzeitig entglitten jedoch die Demonstrationen in der Hauptstadt jeglicher Kontrolle. Die Marktfrauen Lomes, ohne die wirtschaftlich nichts mehr im Lande läuft, gingen zu Tausenden auf die Straße; das Militär ging mit aufgepflanzten Bajonetten gegen sie vor. „Man muß sie alle aufhängen — Eyadema zuerst!“ hörte man auf den Straßen. Um der Lage doch noch Herr zu werden, traf sich Präsident Eyadema am 18. März mit den Vorsitzenden der in der FAR zusammengeschlossenen Organisationen und verkündete die Einrichtung einer paritätischen Kommission aus Oppositions- und Regierungsvertretern. Sie soll Empfehlungen über die politische Zukunft des Landes erarbeiten. Am Tag danach empfing Eyadema erstmals Studentenvertreter. Eines der wichtigsten Zugeständnisse: Studenten werden nicht mehr wie bisher mit Winkelementen zu Staatsanlässen verpflichtet.

Doch solche Konzessionen beeindrucken die Bevölkerung nicht mehr. Seit Anfang April wird Togo erneut von Protesten erschüttert, und diesmal haben es weder die Regierung noch das Oppositionsbündnis FAR geschafft, durch Aushandlung politischer Reformen die Lage zu beruhigen. Nicht mehr Rechtsanwälte und Intellektuelle, sondern Taxifahrer und Marktfrauen stehen heute an vorderster Front der Straßenproteste. Die Demonstrationen und Aufstände, die nun seit über einer Woche andauern, sind heftiger und ausdauernder als zuvor. Ganze Stadtviertel von Lome werden von ihren Bewohnern gegen die Armee abgeriegelt. Im Landesinneren werden Gefängnisse und Polizeistationen gestürmt, Häftlinge befreit, Gouverneure in die Flucht geschlagen. Der von den Militärs prophezeite Bürgerkrieg scheint auf dem besten Wege, Realität zu werden. Doch für die Rettung des Regimes durch eine starke Hand scheint es zu spät.

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