: Baukultur aktuell
■ taz-Reihe zur Bremer Architektur / Vierte Lieferung: Architektenwettbewerb der GEWOBA / Unser Dorf bleibt ein Dorf
“Sehr geehrter Herr Kulenkampff, Damen und Herren von der Jury.
Angesichts der eigentlichen Aufgabe, 16.000 Wohnungen behutsam in die Stadt einzugliedern, jede nur verfügbare Baulücke zu nutzen und — wenn es dann schon sein muß — etwaige Neubaugebiete so zu planen, daß die Natur geschont wird und Quartiere entstehen, die Wohnen, Arbeiten, Dienstleistungen und Freizeit integrieren und eine sozial verantwortliche, energie-und ressourcensparende Architektur zum Ziel haben, ist der Wettbewerb und die Rangelei um das schönste Typenhaus eine Farce.
Legen Sie eine Denkpause ein!“
(Aus einem Wettbewerbsbeitrag, der „wegen unvollständiger Erfüllung der Aufgabe und eingereichter Unterlagen einstimmig von der Bewertung des Preisgerichts ausgeschlossen“ wurde)
Nachdem die GEWOBA Mitte letzten Jahres unter der Überschrift „Wohnung, Wohnhaus, Wohnquartier“ alle ArchitektInnen aus Bremen und ein paar Eingeladene von Umzu um Bebauungsvorschläge für ein imaginäres Baugrundstück von 90 mal 100 Meter und um den Entwurf von Typenhäusern gebeten und mit 16.000 DM Preisgelder gewinkt hatte, gab es kein Halten. 30 Büros haben ihre Ideen zu Papier gebracht. Und nun hängen in den Räumen der Architektenkammer, Geeren 41, (geöffnet nur noch bis Freitag, 17.4., täglich 7.30 — 16.30 Uhr) neunundzwanzig Diskussionsbeiträge an der Wand. Der einzige lästige (vgl. das Zitat oben) wurde in die Ecke gelegt und anonym bestattet.
Zwischen „Raumstation Enterprise“ und „Umbau einer mittelalterlichen Festung“ findet man alles was das JurorInnenherz so begehrt. Kein Wunder! Erst
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auf der Preisgerichtssitzung wurden die Beurteilungskriterien verraten, die die MitspielerInnen zu ihrer Orientierung bei der Planung gern schon erfahren hätten. Und vieles spricht dafür, daß so lange gewürfelt wurde, bis man die Kriterien wieder vergessen hatte und vier sehr unterschiedliche Pläne und Vorstellungen prämieren konnte. Obstsalat!
Der 1. Preis nimmt — wie fast alle MitspielerInnen — den Mund mit der „Ökologie“ ganz voll, bläst mit „Windkraft, Recycling, Sonnenenergie“ ganz fürchterlich die Backen auf, zeigt davon nichts und verkauft noch einmal den nun fast sechzig Jahre alten Ladenhüter der gegliederten und aufgelockerten Stadt.
Ein Drittel des Grundstücks wird für Parkplätze verpulvert, für die Autos, die man braucht, um zur Arbeit oder zum Einkaufszentrum zu kommen, auf dem Rest gruppieren sich die Häuser um eine durchgestylte Grünzone mit Kleinkläranlage, betonierten Sandkästen und einer Gemeinschafts-Baracke für den Schützenverein und die Hochzeiten im Dorf.
Falls „mann“ hier nicht nach Feierabend die Füße hochlegen und in die vorgeschriebene Wohnrichtung schauen darf, sondern aus der Küche in die zentrale Treppenhaushalle, bleibt man in engem Kontakt zu den Geräuschen im Bad nebenan.
Der 2. Preis „in überlegter Strenge“ nutzt frech den Charme der 20er Jahre, jongliert mit den alten Hüten des „Bremer Hauses“ und hat die Jury und alle Andersgläubigen offensichtlich mit einem Schnack über „Verbundenheit mit der Heimat“ überzeugt, in dem viel von „freie Luft der See“ und dem Bremer als „noch nicht dem Land und Stamm entfernter Großstädter, der überall zu Hause ist aber nirgends eine Heimat hat“ und von so schönen Dingen wie „Mutterlandschaft Niedersachsen“ die Rede ist.
Der 3. Preis ist „drei längs eins quer“ mit Abstandsgrün und Hundeklos gestrickt und überzeugte auf zwei mageren Blättern wahrscheinlich durch eine Schlichtheit, die selbst auf die Angabe von Fenstern im Grundriss verzichtet. Nicht verzichtet wurde aber auf eine schriftliche Erläuterung der „entwurfsidee: eine wohnung betreten und raum spüren, dreidimensional, inclusive oben und unten, vorne und hinten, innen und außen“ usw. Riesige Wohnungen zu DM 30 pro Quadratmeter Kostenmiete wären an Frau und Mann zu bringen.
Zuguterletzt meint die Jury beim 4. Preis doch noch „die Idee von Stadt ist Enge“ und belohnte deshalb einen Vorschlag, der das Parkproblem mit einer unzureichend bemessenen Parkfläche nicht löst, Hauserschließungen ohne kommunikative Qualität hat, geringe Variierbarkeit aufweist, schlecht für ältere Menschen geeignet ist, kaum ökologische Ansätze zeigt und die erreichte hohe Dichte durch eine die Wohnqualität mindernde Enge erkauft.
Aber machen wir uns deshalb keine Sorgen: Alle Entwürfe bleiben Papier, wetten? orbi
P.S.: So kann unsere Stadt nicht schöner werden.
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