: Völkerfreundschaft duldet keine Liebe
■ Warum die Liebe zwischen der Russin Ludmilla und der Deutschen Elfriede die beiden vor unlösbare Probleme stellt
Berlin. Elfenhaft zart wirkt Elfriede nicht gerade. Im Gegenteil — die vierzigjährige Russischlehrerin aus Brandenburg weiß ganz genau, was sie will, und kann ihre Verzweiflung durchaus auch mit kräftigen Worten zum Ausdruck bringen: »Wird unsere Bitte abgelehnt, dann bringe ich mich um«, sagt sie und verschränkt entschlossen die Arme vor der Brust. Ihre Freundin Ludmilla schaut schweigend auf die eigenen Hände und knetet angespannt ihren linken Handballen. Auch sie weiß nicht mehr weiter.
Was das Leben dieser beiden Frauen ins Chaos stürzte, ist die Liebe. Drei Jahre ist es her, daß die Deutschlehrerin Ludmilla aus Moskau für ein paar Wochen in die damalige DDR entsandt wurde, um hier die russischen Sprachkenntnisse ihrer deutschen KollegInnen zu vertiefen. Doch erst wenige Monate später hat es tatsächlich zwischen den beiden gefunkt — beim Besuch Elfriedes in Moskau. »Das war sehr schön, als wir plötzlich unsere Liebe füreinander entdeckten — aber auch sehr schmerzlich«, erzählt Elfriede. Seit 16 Jahren in dem mehr oder weniger ruhigen Fahrwasser einer Ehe, mußte die Mutter von drei Kindern nun plötzlich feststellen, daß ihr Leben aus dem Ruder lief. »Meine Liebe zu Ludmilla vor meinem Mann zu verheimlichen, habe ich nicht geschafft — weil ich mit ihm einfach nicht mehr konnte.«
Also reichte sie die Scheidung ein. Widerspruchslos erkannte das damalige DDR-Gericht Homosexualität als Trennungsgrund an und sprach Elfriede sogar die Kinder zu. »Aber mit all den Problemen, die Elfriede als alleinerziehende Mutter hat, kann ich sie doch jetzt nicht alleine lassen«, unterbricht Ludmilla erregt. »Wir wollen jetzt eine Familie sein und die Kinder gemeinsam großziehen!«
Doch spätestens da hat die deutsch-sowjetische Freundschaft ein Ende. Ludmilla hat das Pech, weder Jüdin noch Sowjetdeutsche zu sein, eine lesbische Lebensgemeinschaft rechtfertigt keine Aufenthaltsgenehmigung. Das Touristenvisum, mit dem sie herkam, ist bereits abgelaufen, nur durch eine Krankschreibung konnte sie die drohende Rückkehr nach Moskau bis Mitte Mai hinauszögern. Wenn sie allerdings heiraten würde... »Das täten wir sofort, aber wir dürfen nicht!« Und eine Scheinehe kommt für Ludmilla nicht in Frage. »Was sollen die Kinder und die Leute denken, wenn sie das dann beobachten!« Unter ständiger Beobachtung zu stehen, das war in Moskau für Ludmilla schmerzlicher Alltag. Der KGB, das weiß sie sicher, hört noch heute ihre Telefonate mit ihrer Familie ab, der beruflichen Karriere ihres Bruders wurden bereits die ersten Steine in den Weg gelegt. Näheres möchte sie nicht sagen, in ihrer Angst ist der mächtige KGB allgegenwärtig.
In der Großen Sowjetenzyklopädie wird Homosexualität als eine »sexuelle Perversion« beschrieben, die »aus widernatürlicher starker Neigung zu Personen des gleichen Geschlechts besteht«. Nach der russischen Revolution wurde das gesetzliche Verbot homosexueller Beziehungen zwar abgeschafft, unter Stalin jedoch wiedereingeführt — und bis heute beibehalten. Homosexuelle Männer werden mit Gefängnis und Arbeitslager bestraft, lesbische Liebe allerdings ist in der Sowjetunion straffrei — doch gerade das öffnet der Willkür Tür und Tor. Aus einem mehr oder weniger diffusem (Un-)Wissen über die Ursache solcher Beziehungen heraus landen solche Frauen zwecks Umerziehung zumeist in der Psychiatrie, ein Berufsverbot ist sicher. »Eine Frau hat in der Sowjetunion keine Sexualität — geschweige denn eine Homosexualität«, meint Ludmilla bitter.
Allein schon deshalb verschwendeten Ludmilla und Elfriede keinen Gedanken daran, gemeinsam nach Moskau zu ziehen. Miteinander in Ruhe leben zu können schien ihnen nur in Deutschland möglich — doch auch dies scheint sich nun als Trugschluß zu erweisen. Alle Parteien und Organisationen, an die sich die beiden wandten, von der Ausländerbeauftragten bis hin zu VertreterInnen aller Parteien, zeigten zwar Verständnis — nur helfen konnte niemand. Selbst wenn sich Ludmilla doch noch zu einer Scheinehe entschlösse, eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland könnte sie hingegen nur in Moskau beantragen. »Und dahin kann ich unter diesen Umständen nicht zurück — die lassen mich doch nicht mehr raus und Elfriede nicht mehr rein.«
In ihrer Verzweiflung wandten sich die beiden Frauen nun mit einem persönlichen Brief an den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. Alles würden sie tun, so der Inhalt des Schreibens, um ihren Lebensunterhalt selbst zu tragen, wenn er aus Humanitätsgründen ein Aufenthaltsrecht für Ludmilla erwirke. Man wolle »keinen neuen Präzidenzfall schaffen, der Tausenden sowjetischen Homosexuellen das Recht auf Einwanderung verschaffe«, sondern die Akzeptanz »unserer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft als sehr seltener Rechtsfall«. Ganz aussichtslos scheint die Bitte tatsächlich nicht zu sein: Der zuständige Sachbearbeiter des Landesministeriums, der das Schreiben gestern erhielt, versprach gegenüber der taz, sich »wohlwollend für die Sache einzusetzen«. Die Zeit drängt, Mitte Mai muß Ludmilla zurück — sollte sich bis dahin nicht doch noch ein Ausweg finden lassen, und »der ist für uns lebenswichtig«. Martina Habersetzer
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