piwik no script img

Vom Schwebstaub bis zum Dieselruß

Auf dem Hamburger Symposium „Allergie und Umwelt“ konnten die Allergotoxikologen den Beweis für umweltbedingte Allergien noch immer nicht erbringen/ „Die Bevölkerung weiß mehr als die, die sich damit beschäftigen“  ■ Von Vera Stadie

„Die Frage der Rolle von Umweltschadstoffen bezogen auf allergische Reaktionen wird heiß diskutiert. Die Bevölkerung weiß hier mehr, als die, die sich damit beschäftigen“, behauptete Heidrun Behrendt auf dem Hamburger Symposium „Allergie und Umwelt“ am vergangenen Wochenende.

Die Professorin vom Düsseldorfer Institut für Medizinische Umwelthygiene hat 1987 den Begriff Allergotoxikologie für ein neues Forschungsgebiet „erfunden“, das sich mit dem Einfluß von Schadstoffen auf die Sensibilisierung für Allergien (Induktion), ihre Auslösung und Aufrechterhaltung befaßt. Ein komplexes Gebiet, das auch interdisziplinäre Anstrengungen erfordert. Epidemiologische Feldstudien, klinische Studien, Tierexperimente, Laborversuche an Einzelzellen und Zellkulturen sollen die Zusammenhänge zwischen Umweltschadstoffen und allergischen Reaktionen aufklären.

Mehr als tausend verschiedene Substanzen

Einige wenige epidemiologische Studien konnten durchaus in Belastungsgebieten erhöhte Sensibilisierungsraten für Allergien nachweisen. In einer japanischen Studie werden dafür Dieselruß-Partikel verantwortlich gemacht, in einer Pilotstudie des Düsseldorfer Umwelthygiene-Instituts Autoabgase, in anderen Untersuchungen Schwefeldioxid und Stickoxide. In schadstoffbelasteten Gebieten ist zwar ein erhöhtes Risiko für bestimmte Allergieformen zu finden, aber die ursächlichen Zusammenhänge bleiben ungeklärt. Unter allergotoxikologischen Gesichtspunkten würden laut Behrendt die Schwebstäube eine entscheidende Rolle spielen, besonders die atembaren und lungengängigen Feinstäube — Partikel unter fünf Mikrometer Größe.

Eine Reduktion des Staubs in der Luft müsse aber nicht zu einer Reduktion der gesundheitlichen Auswirkungen führen, erläuterte die Allergotoxikologin. Untersuchungen der krebserregenden Wirkung der Stäube würden zeigen, daß diese bei verringerter Staubkonzentration nicht abnähme.

An den Schwebstaubteilchen können mehr als tausend verschiedene Substanzen kleben — Metalle wie Blei, Cadmium, Chrom, aber auch Arsen, aromatische Kohlenwasserstoffe, Phenole. Heute kennt man 7.000 organische Stoffe, die an den Partikeln hängenbleiben können, davon sind 77 potentiell krebserregend. Viele dieser Stoffe könnten auch allergotoxikologische Wirkungen haben.

Der Grenzwert der bundesdeutschen Luftreinhaltepläne liegt bei 0,35 Gramm Staub pro Quadratmeter und Tag und wird in den alten Bundesländern inzwischen in der Regel eingehalten. Magdeburg hingegen liegt im „grenzwertigen“ Bereich und Leipzig ist so stark mit Stäuben belastet, daß hier eigentlich permanent Smogalarm ausgelöst werden müßte. Eine große Feldstudie über Allergien in den Belastungsgebieten Leipzig, Halle und Magdeburg ist gerade abgeschlossen. Die endgültige statistische Auswertung der riesigen Zahl von Ergebnissen ist allerdings erst im Frühherbst zu erwarten.

Pollenkörner sind den Schadstoffen ausgeliefert

Bei der allergotoxikologischen Wirkung handelt es sich immer um eine Kombination von Schadstoffen und den Allergenen, also den allergieauslösenden Stoffen. Diese Kombinationswirkung geschieht auf verschiedenen Ebenen. Beispielsweise können Pollenkörner, die während ihres morgendlichen Höhenfluges und abends, wenn sie wieder zu Boden sinken, den Luftschadstoffen ausgeliefert sind, Schwefel, Blei und Cadmium aufnehmen. Mikroskopische Bilder zeigen, daß viele verschiedene Schadstoffpartikel an so einem Pollenkorn kleben können.

Heidrun Behrendt hat die Wechselwirkung zwischen Pollen und Schadstoffen im Reagenzglas untersucht. Dabei zeigte sich, daß die angelagerten Schadstoffe Allergene aus den Pollenkörnern freisetzen und diese Allergene zudem verändern. Ob diese veränderten Allergene dann auch andere Reaktionen im Organismus auslösen, müsse wie so vieles auf dem Gebiet der Allergotoxikologie, noch genauer geklärt werden. Die aus den Pollen freigesetzten Allergene können wiederum an die anhaftenden Schadstoffpartikel adsorbiert werden, so daß diese dann ihrerseits möglicherweise zum Allergenträger werden.

Soziale Verhältnisse — Wegbereiter für Allergien

Im betroffenenen Organismus selbst können Schadgase wie Tabakrauch, den die Allergiefachleute hier immer an erster Stelle nennen, Autoabgase, Schwefeldioxid, Stickoxide und Ozon, aber auch Dieselrußpartikel, Quecksilberverbindungen und möglicherweise auch eine Reihe von Pestiziden als Wegbereiter für allergische Reaktionen wirken. Wie das vor sich geht könne man nicht am Menschen klären, so Behrendt, man dürfe bei ihnen weder Allergien auslösen, noch sie karzinogene Stäube einatmen lassen, hier sei das Tierexperiment unerläßlich. In Tierversuchen habe sich gezeigt, daß die Schadstoffe Hilfestellung leisten können bei der Produktion von spezifischen Antikörpern (Immunglobulin E), die für die allergische Sensibilisierung verantwortlich sind. Sie können aber auch auf Zellebene schon bestehende Allergien beeinflussen.

In den Tierexperimenten fand Behrendt, daß die Freisetzung des Botenstoffes Histamin, der die eigentliche allergische Reaktion hervorruft, verstärkt wird durch Stäube, Pestizide, PCBs (polychlorierte Biphenyle) und organische Metallverbindungen. Die Tierversuche seien nicht unbedingt repräsentativ für den Menschen, hier seien weitere epidemiologische Studien erforderlich. Überhaupt besteht ein enormer Bedarf an Allergieforschung, darüber waren sich die Wissenschaftler auf dem Hamburger Symposium einig, und fordern deshalb wiederholt ein deutsches Allergieforschungszentrum.

Einig waren sich die Experten aber auch darin, daß die Zunahme von Allergien auf keinen Fall durch die Schadstoffbelastung allein zu erklären sei. Veränderte Lebensbedingungen, Ernährung, Wohnverhältnisse, sowie die allgemeine Zunahme der Allergene würden eine entscheidende Rolle spielen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen