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Poetische Utopien und vage Politik

Seit Ende des Golfkrieges schweigt die Frauenaktion Scheherazade/ Auseinandersetzungen über Nahostkonferenz der Frauen  ■ Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) — Scheherazades Stimme ist leise geworden. In Berlin, dem Ausgangsort der Frauenaktion, sind es inzwischen nur noch eine Handvoll Frauen, die sich für das Friedensnetzwerk engagieren. „Nach dem Ende des Golfkrieges“, beschreibt eine der Initiatorinnen nüchtern, „war die Luft erst mal raus.“ Seitdem hat sich die Frauenaktion, benannt nach der arabischen Erzählerin, die sich mit ihren Geschichten in Tausendundeiner Nacht das Leben rettete, öffentlich kaum mehr zu Wort gemeldet.

Scheherazade lebte von ihrer Spontaneität und ihrem Mut, einen, wie es im ersten Aufruf hieß, „utopischen und verrückten Gedanken“ in die Welt zu setzen — ohne sich allzuviel Sorgen um Durchsetzbarkeit und Perspektiven zu machen. Scheherazade hatte — zuerst in der taz — zu einer Welturabstimmung gegen den Golfkrieg durch die UNO aufgerufen und dafür binnen weniger Wochen die Unterschriften von über 50.000 Frauen und Männern aus allen Ecken der Welt gesammelt.

Eine anarchische „Kettenreaktion“, deren Erfolg die Frauen selbst ein wenig überraschte. Das Engagement für Scheherazade bildete für viele Frauen, die dem Kriegsgeschehen am Golf mit ohnmächtiger Wut zusahen, wohl auch eine Art von psychischem Ventil.

Bevor die Frauen sich versahen, war der strategisch ausgeklügelte High-Tech-Krieg der USA allerdings vorbei. Zu Saddam Husseins Krieg gegen die oppositionelle schiitische und kurdische Bevölkerung ist Scheherazade nicht aktiv geworden. Eine eigene Hilfs- oder Unterstützungsaktion für die kurdischen Flüchtlinge zu organisieren, hätte die Kräfte der Frauenaktion überfordert, versucht taz-Redakteurin Ute Scheub, Scheherazade-Frau der ersten Stunde, die fehlende Reaktion zu erklären. Unterstützt wird jetzt die Spendenaktion von medico international.

Wie also kann es mit Scheherazade weitergehen? Sind die Vorstellungen eines „weltweiten Dialogprojekts“ von Frauen gegen den Krieg nicht doch zu diffus? Das wollen die Initiatorinnen nicht gelten lassen. Sie sehen die Aufgabe von Scheherazade jetzt vor allem darin, sich in die Kritik an der Rolle der UNO einzumischen, und fordern einen Weltsicherheitsrat der Frauen.

„Wir sagten von Anfang an, daß der Krieg kein einziges Problem der Region im Nahen Osten lösen wird. Das bewahrheitet sich jetzt“, erklärt AL-Frauenpolitikerin Halina Bendkowski, die auch bei der symbolischen Übergabe der Unterschriften an die UNO Anfang März in New York dabei war. Allein schon die Präsenz eines solchen unabhängigen Frauen-Beirates könnte nach Ansicht der Frauenpolitikerin ein Gegengewicht zur Politik der UN-Männer bilden.

In Gesprächen mit VertreterInnen regierungsunabhängiger Organisationen, dem Flüchtlingsrat oder dem Frauenhilfswerk seien die Scheherazade-Frauen mit ihrem Vorschlag durchaus auf offene Ohren gestoßen. Halina Bendkowski meint, bei vielen UNO-MitarbeiterInnen eine Art „Scham“ über das Versagen der Weltorganisation herausgespürt zu haben. Eine Situation, die es zu nutzen gälte. Scheherazade müßte nun eine rege „Reisediplomatie“ entfalten — doch dafür haben die wenigen aktiven Frauen weder das Geld noch die Zeit. „Das Problem ist, daß Scheherazade dezentral und anarchisch funktionierte, wir aber nur im Grunde einen Kreis von Frauen brauchen, der sagt, wo es langgeht“, erklärt Ute Scheub. So berichtet sie von „Anrufen aus der Provinz“, in denen Frauen ratlos anfragen, wie es denn weitergehen soll.

Im Frühsommer, voraussichtlich am 11./12. Mai, soll es nun ein Treffen der bundesdeutschen Gruppen geben, um das weitere Vorgehen zu beraten. Denn die Scheherazade- Frauen produzieren zwar eifrig Aktionsvorschläge, doch die Umsetzung steht auf einem anderen Blatt. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten bringt Ute Scheub auf die Formel: „Viele Ideen, zuwenig Frauen“.

Eines der Projekte, eine Nahostkonferenz der Frauen in Berlin, die einen „Friedensplan“ von unten diskutieren und Vorschläge für gemeinsame Aktionen von Frauen erarbeiten soll, ist bereits vom geplanten Termin im Frühjahr auf den Herbst verschoben worden. Auseinandersetzungen gab es im Vorfeld um die Konzeption der Konferenz. Während eine kleinere Gruppe auch Regierungsvertreterinnen einladen wollte, sah die Mehrzahl der Frauen den Erfolg der Konferenz dadurch von vorneherein gefährdet. Begründung: Es sei illusorisch anzunehmen, daß Frauen, die in Regierungsloyalitäten eingebunden seien, sich plötzlich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen könnten.

Ein wenig erschöpft sind die Scheherazade-Frauen, aber an ihrer Grundidee halten sie fest. In ihrem jüngsten Aufruf, in dem sie zur Unterschriftensammlung für den Frauen-Weltsicherheitsrat und für eine sofortige Nahost-Friedenskonferenz auffordern, heißt es so poetisch wie vage: „Da die Sultane der Welt weitermorden, muß Scheherazade weitersprechen... Nicht ein Aufruf in einer Sprache sollte es sein, sondern Hunderte von Aufrufen in Hunderten von Sprachen... Verbinden soll sie alle der Name Scheherazade, die die Nachtgemächer der Scheichs und Sultane verließ und auf Märkten und in Parlamenten davon spricht, wie die Welt ohne Gewalt aussehen könnte.“ Der Satz enthält Scheherazades Wesen, ihre Stärke und Schwäche. Er hält die notwendige Hoffnung wach auf ein Aufbegehren der Frauen dieser Welt und kann doch nicht sagen, ob es mehr ist als der Wunsch allein.

Kontaktadressen für Unterschriften und Aufrufe:

Scheherazade, c/o Eva Quistorp, Hochhaus Tulpenfeld, 5300 Bonn, Tel.: 0228/ 167311, Fax: 0228/ 169090 oder

c/o Anne Hebeler, Leibnizstr. 21, 1000 Berlin 12, Tel.: 030/ 313 7895

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