: Der Prügelknabe blieb daheim
■ »Zensur oder das Handwerk der Literaturförderung« — eine Diskussionsveranstaltung ohne Klaus Höpcke im Literaturhaus Berlin
Die Zuhörer strömten in Scharen: Klaus Höpke, früher stellvertretender Kulturminister und »Oberzensor« der DDR, wurde am Freitag abend im Literaturhaus Berlin erwartet. Über »Zensur oder das Handwerk der Literaturförderung« sollten sich Höpcke, der Schriftsteller Joachim Walther, der Zensor und Schriftsteller Gerhard Dahne, der Direktor des Mitteldeutschen Verlages, Eberhardt Günther, und der westdeutsche Literaturkritiker Konrad Franke auf dem Podium auseinandersetzen. Wer nicht kam, war Höpke. Der Leiter des Literaturhauses in der Fasanenstraße, Herbert Wiesner, erklärte, Höpke habe »aus verschiedenen Gründen« abgesagt. Seine Gründe: Im Katalog der laufenden Ausstellung des Literaturhauses über Zensur wurden von Höpke ausgestellte Dokumente veröffentlicht — für diesen »eine Verletzung des Urheberrechts«. Außerdem, so Wiesner, wolle Höpke sich nach dessen Buchveröffentlichung Protokoll eines Tribunals nicht mit Joachim Walther an einen Tisch setzen. Aber Wiesner war nicht untröstlich über Höpkes Absage. »Ich meine, ohne Höpke wird dieser Abend weniger polemisch, weniger oberflächlich und weniger ausweichend«, sagte er. Und damit hatte Wiesner recht.
Statt des Showdown auf dem Podium erlebten die Zuhörer in dem überfüllten Saal eine bis ins Detail spannende Analyse und Auseinandersetzung mit der Praktik des Zensurbetriebs. Durch das sorgfältige »Filetieren« des Gegenstandes, wie eine Zuhörerin es nannte, verstand man nach und nach das Zusammenwirken der einzelnen Personen und Institutionen, das Delegieren von Verantwortung, die Versuche, »das System zu überlisten« und die kläglichen Erfolge: etwa die Veröffentlichung der Blechtrommel 28 Jahre nach ihrem Erscheinen in der Bundesrepublik... Dahne, der 20 Jahre lang in der vielzitierten „HV“, der »Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel«, also der Zensurbehörde (Leiter: Höpke), arbeitete, erklärte dem Publikum das ganze groteske System. Jeder Verlag hatte seinen eigenen Cheflektor, den man mit einem Gutachten beauftragte, wenn es darum ging, verdächtige Literatur auf Druckbarbeit zu überprüfen. Erst danach (jedenfalls in der Regel) erstellte die HV ein eigenes Gutachten. Die Verlage übten also Vorzensur. Und jeder Beteiligte hatte die Schere im Kopf: Zensoren, Lektoren und die Schriftsteller, die man bat, gewisse Formulierungen »doch noch einmal zu überdenken«. Der Verleger Günther zitierte aus einem Brief des Schriftstellers Erich Loest an ihn: »Deine Position sehe ich so: Du mußtest Befehle ausführen, die dir nicht passen. Du mußtest auch noch so tun, als ob du mit diesen Befehlen einverstanden bist. Du wußtest das, als du Verleger wurdest, und du hast oft genug andere in die gleiche Lage gebracht.«
Wo also verläuft die Grenze zwischen Schuldigen und Unschuldigen, zwischen Tätern und Opfern? Joachim Walther (»Ich bezeichne mich nicht als Opfer, weil es wirkliche Opfer gab«) flog 1982 aus seinem Verlag, als er, der Lektor, sich weigerte, einem Autor Höpkes Ablehnung als die eigene zu verkaufen. Aber auch der Schriftsteller Dahne, der eine vielgeschmähte Einführung Westdeutsche Prosa verfaßte, wurde zum Opfer seiner eigenen Behörde. »Gerhard Dahne ist heute abend nicht der Prügelknabe«, warnte Wiesner zu Beginn. Prügelknabe des Publikums wurde dann eher Eberhardt Günther, der in enthusiastischem Sächsisch von seinen verratenen Idealen sprach und mit Sätzen wie »Ich habe die Urkunde nicht geschrieben, ich habe sie unterschrieben« höhnisches Gelächter erntete.
Mit Hinweisen auf Stasi-Verbindungen Höpkes schoß Joachim Walther einige Pfeile in Richtung »Aufklärung« — und bekam dafür Beifall des Publikums, das auf der Suche nach dem Schuldigen war. Aber nicht diese kleineren »Skandale« waren das Thema des Abends. Vielmehr führten kleinere Anekdoten aus dem Inneren der Zensurmaschine zum Verständnis ihrer Funktionsweise, oft sogar so sehr, daß der Blick für die Gesellschaft, für »außen« verlorenging: »Ich hatte Lutz Rathenow versprochen, seinen Gedichtband zu drucken«, erzählt Günther. »Aber ich hatte ihn darum gebeten, sich bis zum Erscheinen nicht in der Westpresse zu äußern. Er hat es mir versprochen. Und dann hat er sich, ich glaube im 'Rheinischen Merkur‘, doch geäußert. Warum konnte er nicht die paar Monate warten?« Ja, warum nicht? Ayala Goldmann
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