Ich bin ein Homo, wie Sie sagen

Der TV-Renner im Frühjahr 1991: Lesben, Schwule, ihre Freunde und Feinde  ■ Von Elmar Kraushaar

Ganz ohne Vorwarnung sind sie plötzlich Top-Thema, die Lesben und Schwulen der Republik. Nach dem beharrlichen Schweigen der Medien zum Thema in den siebziger Jahren und dem Dammbruch via Aids Mitte der Achtziger, als mit dem nahen Tod der Schwulen vor Augen plötzlich Analverkehr und Promiskuität allen ganz leicht über die Zunge kam, rücken mit dem neuen Jahrzehnt Lesben und Schwule unter scheinbar neuen Vorzeichen ins öffentliche Fadenkreuz. Angefangen damit hat vor einigen Wochen Sat 1. Talk im Turm widmete den Abseitigen gleich einen ganzen Abend. Die Öffentlich- Rechtlichen zogen in der vergangenen Woche gleich vierfach nach: Zwei Talkshows auf der Nordkette (Moment mal undFreitagnacht), einem Pro & Contra zur besten Sendezeit und ein herziges Feature beim DFF.

Für die Talkshows ist das Rezept immer das gleiche: Den homophoben Feinden von der Kirchen-, Familien- und Wissenschaftsfront sitzen betroffene Bekennende gegenüber, freundlich unterstützt von gutmütigen Sexualwissenschaftlern. Das nennt man Ausgewogenheit.

Auf der Seite der Gegner weiß man ohne viel Worte, von wem die Rede ist, das Bild des Fremden ist schnell gezeichnet: armselige Geschöpfe, irgendwo am Rand, mit Recht auf Mitleid und einzufangen in Zeiten der Gefahr. „Wir wollen niemanden diskriminieren“, sagen sie, „aber...“ Michaela Freifrau von Heeremann, die katholische Antwort auf Frau Motschmann, möchte ihren sechs Kindern das „weniger glücksträchtige Leben“ eines Homosexuellen ersparen und fordert (in Talk im Turm und in Moment mal), daß Lesben und Schwule sich öffentlich nicht zeigen dürfen. Und Gereralvikar Willi Gegenfurtner aus Regensburg möchte (in Pro & Contra) die „Polarität der Geschlechter, die sich aus der Schöpfungsgeschichte ergibt“, nicht durch Homosexuelle gefährdet sehen.

Bei so viel „Ja, aber...“ kommen auch die übrigen Vorurteile wie aus der Pistole geschossen. Die Mär von der Verführung, die traumhaften Zahlen der häufig Wechselnden, die Unfähigkeit zur Bindung. Und immer wieder gerne gefragt: Woher kommt's? Aktueller Renner im großen Angebot an wissenschaftlichen Erkenntnissen ist derzeit die Streßtheorie des Berliner Endokrinologen Günter Dörner. Der Bonner Mediziner August Wilhelm von Eiff ist (in Talk im Turm) ganz stolz, eine solche Theorie vom natürlichen Unfall zitieren zu können. Die biologischste Nummer entlastet ungemein, und wenn der Defekt entdeckt ist, muß doch bald auch was gefunden sein zur Reparatur.

Bei so viel Stuß faßt sich Oswalt Kolle (in Talk im Turm) verzweifelt an den Kopf und mißtraut lautstark den Erfolgen seiner einstigen Aufklärungsbemühungen. Und Ernest Bornemann will wacker ausgleichen inFreitagnacht) und verweist auf die latente Homosxualität im heterosexuellen Mann. Der Homosexuelle sitzt bestürzt davor und will es nicht glauben, daß man immer noch derart über ihn befinden darf. So als wäre nichts geschehen. So als hätte sich seit hundert Jahren keiner mehr einen Gedanken gemacht. Die ModeratorInnen — unisono — lehnen sich zurück, stolz, so viel Ungereimtheiten aufeinandergehetzt zu haben und stolz, das Wörtchen „schwul“ ganz ohne Zungenbrecher zu formulieren.

Da müssen die Lesben und Schwulen, wie gehabt, wieder einmal die Aufklärung selbst in die Hand nehmen und sprechen einer für alle. Bevor sie loslegen dürfen, kommen die Fernsehunterhalter nicht am perfiden Lob für den öffentlichen Bekennermut vorbei. Und schließen damit erneut den alten Kreis der Vorurteilsherrschaft.

Die geladenen VertreterInnen der Spezies laufen dann auch voll auf unter dem „Blick des anderen“. Da wird, immer wieder, heruntergebetet die Litanei von der Diskriminierung, vor allem in der Provinz. Und daß es doch um nichts anderes ginge als um die Liebe. Und die macht doch alle gleich. Um das zu demonstrieren, wolle man jetzt endlich auch heiraten — das Thema, das sich durch fast alle Sendungen zieht. Die rechtliche Gleichstellung wird eingeklagt, damit keiner mehr Zweifel hat am Willen zum kleinen Teil vom großen Ganzen. So viel Anbiederung an das unteilbare Recht auf Ehe wird vom TV-Publikum denn auch prompt geandet: Waren zu Beginn der Pro & Contra-Sendung zur Homo-Ehe noch 62,6 Prozent der AnruferInnen für eine solche Enrichtung, bleiben am Schluß nur noch 44,8 Prozent als Trauzeugen dabei. Häufigstes Wort bei all dem medialen Gerede ist „Toleranz“. Nur einer hält es nicht aus. In Freitagnacht bei Lea Rosh verläßt ein Gast den Raum, mit Lesben und Schwulen wolle er nichts zu tun haben. Doch auch hier zeigt Lea Rosh, unter den Schwulen mit Hang zur streng aber gerechten Mutti fast so beliebt wie Marianne Rosenberg, die vielstrapazierte Toleranz: „Das ist ein Standpunkt. Den muß man akzeptieren.“ Man stelle sich vor, eine Runde von Juden oder Schwarzen, und ein anderer ist dabei und kann die Nähe nicht ertragen. Das ist ein Standpunkt? Das muß man akzeptieren?