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Perus Cholera — ein Übel unter vielen

In den Slums von Lima fördert der „Fuji-Schock“ die Seuchenausbreitung/ Wasser ist unerschwinglich  ■ Aus Lima Beate Mazzi

Vor uns erstreckt sich staubiges, dürres Wüstengebiet. Hier und dort stehen mit Mühe hochgezogene Grünpflanzen. Am Straßenrand waschen Frauen ihre Kinder in Fabrikabwässern. Lehmmauern grenzen Grundstücke ab. Wir sind in Jicamarca.

Jicamarca — „Ort im Sumpf“ — ist eine der vielen Slumsiedlungen am Rande der peruanischen Hauptstadt Lima, die in Peru beschönigend „junge Dörfer“ (pueblos jovenes) genannt werden. In den Lehm-, Stroh- und Wellblechhütten leben etwa 10.000 Menschen. Sie haben weder fließendes Wasser noch Brunnen noch sanitäre Einrichtungen. Das Wasser muß aus mehrmals wöchentlich vorbeifahrenden Tankwagen gekauft werden und ist oft verseucht. Durch die tagelange Lagerung in Fässern wuchern Mikroben.

Jicamarca entstand wie die meisten „pueblos jovenes“ durch Landnahme: Menschen haben einfach brachliegendes Wüstenland besetzt und Hütten errichtet. Die Bewohner haben Glück, daß sie noch keiner Polizeirazzia aufgefallen sind: Ganze Pueblos werden mitunter von Polizei und Militär zerstört und die Familien völlig mittellos auf die Straße gesetzt.

Inmitten der Elendshütten stehen zwei armselige Lehmbauten: die Schule. Auf dem Landstück, das ein Schulhof sein soll, steht ein mit Nato- Draht abgeriegelter Hochspannungsmast. Kinder spielen in der Nähe, die Lehrerin warnt sie, nicht zu dicht heranzugehen. „Der Strommast ist vermint“, erzählt sie, „es ist schon vorgekommen, daß Kinder Steine in das Minenfeld warfen und Opfer der Explosion wurden.“ Die Minen soll das Militär gelegt haben, um den Hochspannungsmast vor Sabotageakten der Guerilla „Sendero Luminoso“ zu schützen. Eigentlich sei das verboten, weil es die Kinder gefährde, sagt die Lehrerin, und staatliche Stellen wüßten das.

Achtzig Prozent der Eltern dieser Schulkinder haben keine oder nur gelegentliche Arbeit. Durch den „Fuji- Schock“, den Wirtschaftsschock des neuen Präsidenten Alberto Fujimori, hat sich die Situation verschlimmert. Ein Faß Wasser kostete plötzlich 1.000 Intis (etwa 3 Mark), was sich die Familien kaum noch leisten konnten. Die Kinder waren daraufhin so verschmutzt, daß Hautkrankheiten entstanden. Wegen Seuchengefahr wurde die Schule einen Monat geschlossen. Viele Kinder lebten in dieser Zeit ausschließlich von „Mechica“ (Wasser mit Maismehl und Zucker). Die Mehrheit von ihnen hat Untergewicht, 30 Prozent sind unter- und 80 Prozent fehlernährt.

„Wenn unsere Männer bloß Arbeit hätten“, klagt Elena, eine der Elternvertreterinnen. Auf die Frage, wie sie es schaffe, mit ihrem Geld auszukommen, lacht sie: „Wir ziehen es auseinander wie Kaugummi.“

„Meine Mama kann nicht kommen“, sagt ein Junge, der bisher auf dem Schulhof gespielt hat, mit gesenktem Blick. „Zwei meiner Geschwister sind krank. Sie haben Cholera.“ Werden sie nicht ins Krankenhaus gebracht? „Das geht nicht“, antwortet er. „Die Ärzte streiken.“ Alle schweigen.

150.000 Kinder sterben in Peru laut offiziellen Regierungsangaben jedes Jahr an Hunger und Krankheit. Realistischer, sagen Lehrer, wäre die Zahl von einer Million. Unter den Familien von Jicamarca gab es bis jetzt schon viele Choleratote. Elena erzählt: „Ein Mann, dessen Frau an Cholera gestorben war, hat auf dem Markt sein Baby als Geschenk angeboten, weil er es nicht ernähren konnte“.

La Paz (ap) — Die Gesundheitsminister acht lateinamerikanischer Staaten sowie Spaniens sind am Samstag in Bolivien mit Vertretern der Weltgesundheitsorganisation und des Internationalen Roten Kreuzes zu einer dreitägigen Konferenz zusammengekommen. Ziel ist es, ein Gesundheits- und Hygieneprogramm zu entwickeln, um die weitere Ausbreitung der Cholera zu verhindern. Seit Ende Januar sind in Lateinamerika rund 1.200 Menschen an Cholera gestorben, allein 1.140 in Peru. 158.000 Menschen sind in Peru an der Cholera erkrankt.

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