: Das glockenklare Klirren der Gläser
■ “Cosi Fan Tutte“, Mozarts drittletzte Oper, in der Inszenierung von Jürgen Gosch im Goethetheater
Über dem Kaffehaus-Tisch schwebt in gefährdeter Schräglage eine runde Platte. Darunter plaudern bei Espresso und Grappa zwei Junge und ein Alter über die Frauen. Die jungen Gecken sind mächtig stolz auf Schönheit und Tugend ihrer Lieben. Insbesondere die auf Felsen gegründete Treue der Angebeteten hat es ihnen angetan. Dem Alten geht dies mächtig auf den Wecker und er wettet mit den jungen Taugenichtsen, daß deren weibliche Treue binnen kurzem zerbricht. Top, die Wette gilt.
Ein bißchen Angst mag man schon haben, daß die Platte diese Kaffeehausrunde erschlagen könnte. Doch das Vertrauen auf die rundum erneuerte Technik
hierhin das Foto
mit der personengruppe
des Theaters am Goetheplatz wird nicht auf die Probe gestellt: Die Scheibe hält, schon weil sie sich bei näherem Hinsehen als elliptisches Loch entpuppt, das die Ausstatterin Nina Ritter in einen schwarzen Vorhang geschnitten hat. Eine Täuschung und ein mit knappen Strichen gezeichneter, brillanter Einstieg in Cosi Fan Tutte, Mozarts drittletzte Oper, die am vergangenen Sonntag am Goetheplatz in der Inszenierung von Jürgen Gosch und unter der musikalischen Leitung von Ira Levin Premiere hatte.
Als frivoler Angriff auf geheiligte Werte der Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft wurde die Oper im prüden 19. Jahrhundert umgetextet und entschärft,
um zumindestens die schöne Musik zu retten. Als hymnischen Ausdruck hellenistischen Eroskultes feierte später der feingeistige Volkskommissar für das Auswärtige, Tschitscherin, mit der Rabiatheit eines Jungbolschewisten das Werk. Männer können sich in ihren Vorurteilen wiederfinden, Frauen leiden unter dem zynischen Spiel der Männer.
In der Tat hebt auf der Opernbühne ein verschachteltes bösartiges Treiben an. Den hochverehrten Frauen wird vorgegaukelt, ihre geliebten Männer würden zum Kriegsdienste gezogen. Die Herren kehren stante pede als Pollacken, Albaner oder sonstige Halbwilde verkleidet zurück. Sie werben und verführen mit schmutzigen Tricks nach langem Kampf den Schatz des jeweils anderen. Zum Schluß stellt der alte Zyniker Don Alfonso die ursprüngliche Paarung wieder her und entläßt die vier in eine unsichere Zukunft. Dazu läßt Mozart eine Musik ertönen, die mit allen Wassern gewaschen ist. Falsche Gefühle werden hochpathetisch abgehandelt, echte Tränen klingen falsch. Authentisch und von überirdischer Schönheit überstrahlt wird es nur, wenn die Damen den hehren Erwartungen von Sitte und Konvention nicht mehr entsprechen wollen und fallen.
Schwarz-Weiß, Ocker-Türkis: die Farben, auf die Regie und Ausstattung dieses schillernde Werk reduziert haben. Schwarz- weiß beginnt es im Kaffeehaus, ocker-türkis Heim und Garten der Frauen, schwarz-weiß auch das Schlußbild, der Männerwelt zwiespältiger Triumph.
Reduktion und Stilisierung, das sind die Techniken der Regie, mit der sie das „Experiment am lebenden Menschen“ Mozarts und seines Librettisten da Ponte konsequent umsetzt. Zurückgenommene, sorgfältig kalkulierte Bewegung und schlüssig durchkonstruierte Aufstellung oder besser Versuchsanordnung der Personen auf der Bühne sind zu sehen. Ganz oben Don Alfonso, darunter die Kammerzofe Despina als durchaus eigenständig operierende Laborgehilfin und unten die wunschgemäß funktionierenden Testpersonen.
Dies Konzept hat durchaus seine Tücken. Der erste Akt, der seine innere Spannung dadurch erhält, daß die larmoyante Trauer der Frauen um den Verlust der Geliebten und die hochdramatische Bekräftigung von Tugend und Treue mehr der Konvention geschuldet als echt sind, bleibt blaß. Erst der zweite Akt „stimmt“. Er beginnt mit einem wunderbaren Einfall: Despina, mit Straßenbesen bewaffnet, nimmt ihren Damen die Bücher weg, aus denen sie offenbar ihre Gefühle beziehen. Danach finden sie zu sich selbst. Schüchterne Verliebtheit, zartes Dahinschmelzen, das Aufblühen wärmster Gefühle, zuweilen überschattet von Melancholie, wird konzentrierte Wirklichkeit auf der Bühne. Schönster Ausdruck hierfür: Das zarte, glockenklare Klingen der Sektgläser, mit dem die falsche Hochzeit besiegelt wird. Mit verhaltenem Terror bricht dann die Rückverwandlung der zärtlich-liebestollen „Albaner“ in empörte, eifersüchtige Verlobte über die Frauen herein.
Die Regiearbeit von Jürgen Gosch läßt Raum für das musikalische Geschehen. Dirigent Ira Levin mit gut und konzentriert aufspielendem Philharmonischen Staatsorchester Bremen nutzt ihn. Sorgfältiges, sich eng an die dramatisch-komödiantischen Situationen anschließendes Musizieren (manchmal zu ruhevoll, manchmal recht zackig aufbrausend) machen das Zuhören zum Genuß. Levin steht ein ausgewogenes Sänger-Sextett zur Verfügung. Theresa Herbe und Kate Butler singen in zarten, fast zerbrechlich schönen Tönen, Björn Waag und Ulf Öien überziehen ihre wohlklingenden Stimmen mit ahnungsvoller Traurigkeit, Joshua Hecht gibt zum bösen Spiel seinen heuchlerischen, trockenen Kommentar. Katherine Stone bringt Lebensnähe mit brillanten komödiantischen Ausbrüchen ins Spiel.
Alles in allem war am Sonntag eine schöne, klug durchgestaltete Deutung der Oper zu bestaunen, die allerdings neugierig macht auf eine Inszenierung, die die Eskapaden der Pärchen doch stärker durch die Brille ihrer Kammerzofe sieht. Mario Nitsche
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