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»Sei tapfer DDR, es gibt mich ja noch!«

■ Das Buch zum Land — Christoph Dieckmanns »My Generation — Cocker, Dylan, Lindenberg und die verlorene Zeit«

Noch gibt es sie, die aufrechten DDR-Leserinnen. Ulrike J. Bieritz aus Jena ist eine von ihnen. Einem Brief dieser Frau verdankt die »Ost-West-Wochenzeitung« 'Freitag‘ die Erkenntnis, daß ihr Kommentator mit seiner Meinung zu Honeckers Moskau-Reise nicht allein steht. »Wer wagt denn«, so fragt Ulrike J. Bieritz aus dem Bundesland Thüringen in der Leserbriefspalte, »Honecker und Frau so unverblümt eine stille letzte Zeit zu wünschen? Und wer wagt, das aufzuschreiben?« Ja wer, wenn nicht ein ebenso aufrechter DDR-Autor. Der heißt Christoph Dieckmann, wurde 1956 in Sangershausen geboren, studierte in Leipzig und Berlin Theologie, war Filmvorführer, dann Vikar einer evangelischen Studentengemeinde, arbeitete schließlich im DDR-Kirchenbund und später für eine ähnlich gottesfürchtige Verbindung als Medienreferent.

Und Dieckmann schrieb, früher — vor Deutschland — vor allem im 'Freitag‘-Vorläufer 'Sonntag‘. Zuerst über den heimatlichen Blues, über Wolfram Bodag und Engerlings dritte LP oder die neue Platte von Silly, dann über Wishbone Ash in Weimar, Dylan im Treptower Park, Springsteen in Weißensee, irgendwann über Biermann im HdJT, die Stones in der Waldbühne, schließlich über den Mord am Mörder Ceausescu, die PDS im Lustgarten und den Generalsekretär in Rummelsburg, aber eigentlich immer über Gott und die Welt und die hieß DDR. Ich wollte keine Bitternis verbreiten, aber Wahrheit und, wenn möglich, dennoch etwas Schönes. Musik war ein populäres Vehikel für allerlei Transporte. Und Dieckmann transportierte — als Dylan im September 1987 den nach Treptow Pilgernden kein zweites Montery, kein The Times They Are A-Changin bescherte, weil die sich inzwischen wirklich geändert hatten — die Einsicht: In nüchterner Zeit muß jeder für sich selber die Dinge so sehen, wie er von ihnen angeschaut werden möchte. Wo die großen gemeinsamen Dinge fehlen, fällt jeder zurück in sein eigenes Herz.

Und als drei Jahre später alles und sogar die Rolling Stones im Westen Berlins zu haben waren, hinterließ er die denkwürdigen Zeilen:Noch leben wir DDR-Menschen in einer Rangordnung von Träumen, in der gründerzeitlichen Hierarchie, um Stufe um Stufe auf DAS BESTE zuzuschreiten. Aber dort oben, wo es uns hinzieht, wartet niemand auf uns, und falls wir hinaufgelangen nimmt keiner Notiz. Es ist uns erlaubt, doch ihnen egal. Der eigentliche DDR- Schock steht noch aus; er kommt aus der Relativierung unser Freuden und Werte. Wenig später verläßt Dieckmann die DDR, dieses kleine Land, das er nie als Provisorium sah und dessen Verschwinden auch für ihn ein Verschwinden von Heimat war. Wer über dreißig war, als die DDR sich nach Deutschland verabschiedete, wird das Happy Dancing nie so richtig hinkriegen. Und ich glaube, daß viele aus meiner Generation, die als Künstler, Lehrer, Publizisten oder sonstwie moralisch urteilen wollten, ihren Staat immer noch ernsthaft behandelt haben. Nach uns tat das niemand mehr.

Ein halbes Jahr 1990 reiste Dieckmann mit einem Stipendium des World-Press-Institute durch die USA und verpaßte so einen historischen Augenblick nach dem anderen. Schon zum Mauerfall saß er im Auftrag der Kirche am Genfer See. Von ihm kam damals nur ein Über diese Tage in Berlin müssen andere schreiben. Und für die Zeitschrift 'Kirche im Sozialismus‘ zitiert er aus einem Brief: Den Teil der Wahrheit, den man sonst nirgends liest: »So sieht er also aus. Der Tag. Die halbe DDR steht an der Grenze. Alle wollen wie wild rüber. Euphorie, ein Hin und Her. Das merkwürdigste ist, daß in mir keine Riesenfreude ist. Im Gegenteil: alles still. Christoph, was wird wohl von unserer lieben, kleinen DDR übrigbleiben?«

Nur elf Monate später, am 3. Oktober 1990, feiert das Weiße Haus mit deutschen Gästen die Auferstehung, und alles um Dieckmann herum ist bundesdeutsch: Das Bundeswehr- Blasorchester spielt Auf der schwäbschen Eisenbahn, George Bush streichelt musizierende deutsche Knaben, es gibt Holsteiner Bier und ein blondes Kind aus Köln flog mir an den Hals und behauptete, sie sei Sylvia und glücklich, mit mir von Stund an im selben Land zu leben. Und daß ich jetzt frei wäre! Freiheit heißt: FÜRCHTE DICH NICHT ! Ich bin noch nicht frei; ich werde noch lange befangen sein von DDR. Ich habe sie verlängert. Ich bin aus dem deutsch-deutschen Expreß gesprungen, denn ich kann nicht so schnell. Ich weiß, das es vorbei ist mit uns und habe wütende Phantomschmerzen. Seit vier Monaten fahre ich kreuz und quer durch dieses selbstgewisse Riesenreich, das sich so gern Amerika nennt, als sei es ein ganzer Kontinent und möglichst noch mehr. Dies ist, unter anderem, eine herbe Lektion in Relativität.

Wieder heimgekehrt, ließ sich Dieckmann überreden und bündelte 50 Betrachtungen, Konzert-, Buch- und Filmrezensionen aus den letzten vier Jahren, stellte ihnen einen in den USA geschriebenen Essay voran und das Ganze einem kleinen Ostberliner Verlag zur Verfügung. Das so entstandene Buch bekam den unglücklichen Titel My Generation — Cocker, Dylan, Lindenberg und die verlorene Zeit, 272 Seiten und einen Klappentext, dessen reißerische Prosa den Autor genau dorthin prügelt, wo er nie stehen wollte: In das Lager der »wichtigsten deutschen Kulturjournalisten oder der »zehn besten Nachwuchspublizisten der Welt«.

Es gibt in meiner Wohnung eine Kiste, in der liegt die DDR begraben: Der Pionierausweis, Klassenfotos, ein paar Zettel, die wir uns während der Schulstunden gegenseitig zusteckten, um abzuklären, wer mit wem in der Hofpause zum Eisladen geht, das Abzeichen für Gutes Wissen, Bilder von der ersten Bulgarien- Tour, Briefe an den Soldaten in 2112- Eggesin, eine bunte Postkarte vom ersten ausgereisten Freund, ein frühes Grundsatzpapier der Vereinigten Linken, ein Stück von der Mauer, jetzt kommt noch Dieckmanns Buch hinzu und das war es dann. Hüten wir uns! Und hüten wir die Welt von gestern zu unseren eigenen Teilen, die keiner uns ersetzen kann: Herkunft, Landschaft, inneres Getriebe, Trotz, Schwejk-Humor, östliche Schnauze und östlicher Umgang mit Geld, das nicht so wichtig war. Distanz zur herrschenden Ideologie. Denn was anderes sind Markt und Trend? In Mode kommen wir nicht, wir ollen Ostler. Uns kauft uns keiner ab. Meier

Alle kursiv gedruckten Zitate aus My Generation , erschienen im LinksDruck-Verlag Berlin, 272 Seiten mit Fotos von Harald Hauswald und anderen, 22 DM.

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