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Verwertete Leidenschaft

■ Der erste Roman von Andrea Dworkin („Pornographie“)

Mitunter erscheinen die falschen Bücher zur richtigen Zeit. Pornographie. Männer beherrschen Frauen von Andrea Dworkin war so ein Buch. Richtig war der Zeitpunkt seines deutschen Erscheinens im Jahre 1987, weil es zeitlos opportun ist, Pornographie ein bißchen an den Pranger zu stellen. Aber leider ging die Auseinandersetzung um dieses in der Tat nicht erledigte Thema vom falschen Buch aus. Falsch insofern, als es einfach ein schlechtes Buch ist. Da wird mit wütend-frischer Empörung die alte Himmel-Hölle-Welt aus einem Lego-Baukasten gebastelt, der nur die Farben Schwarz und Weiß anbietet. Schwarz ist Mann, Macht, Geld; und Weiß ist Frau, Ohnmacht, Nichtbesitz. Da Schwarz auf Weiß liegt, liegt Weiß unterdrückt unten, und was dabei herauskommt, ist zwangsläufig eine Schweinerei, die unter anderem Pornographie heißt.

Und so verwundert es, wenn der soeben gegründete Hamburger KleinVerlag sein Programm unter anderem mit einem Dworkin-Buch eröffnet. Und das um so mehr, als dieser Verlag „für kritische Sexualwissenschaft“ einen Dworkin-Roman vorlegt. Doch gerade an Dworkins Büchern läßt sich die gängige Klassifizierung von fiction und non- fiction auf das plausibelste verkehren. Dazu ein beliebiger Argumentationsstrang aus Pornographie: „Ältere Männer machen Kriege. Ältere Männer töten junge Männer, indem sie Kriege auslösen und finanzieren. Junge Männer kämpfen in Kriegen. Junge Männer sterben in Kriegen. Ältere Männer hassen junge Männer, weil sie noch den Geruch von Frauen an sich haben. Der Krieg reinigt, wäscht den weiblichen Gestank weg. Das ach so geheiligte und gepriesene Blut des Todes überwindet das ach so verabscheute und diffamierte Blut des Lebens.“ Der penetrierte Geruchsnerv des älteren Mannes als kriegsauslösender Faktor kann ohne Umschweife im Reich der Fiktion angesiedelt werden.

Wie unfiktiv dagegen diese Szene: „Die Meute ißt, alle müde, alle fertig vom Vögeln, fertig von Drogen. Der Mann wartet. Hey, Mister, sagst du lachend, hast du Lust, uns ein Frühstück zu kaufen. Er nickt. Jetzt sitzt du da und ißt, und er beobachtet. Dann bist du satt. Dann bezahlt er die Rechnung. Dann sagst du: hey, Mister, willst du bumsen? Man fliegt immer noch ein bißchen auf dem Trip, aber es ist ziemlich vorbei, ran an die Arbeit, klar will der Mister bumsen.“ In dieser Realität bewegt sich die Ich-Erzählerin in Dworkins Roman Eis und Feuer.Nach einer jüdischen Kindheit in einer Ostküstenvorstadt und einem kurzen College-Aufenthalt tauscht sich die junge Frau durch den New Yorker Lower-East-Side-Alltag. Und der heißt: Lebenslust, Drogen, kein Geld, keine Wohnung, ethnische Konflikte und allgegenwärtige Gewalt. Pornographisch ist hier der Zwang zum täglichen Überleben, die freie Marktwirtschaft, in der die, die nichts zu verkaufen haben, sich durch einen Fick die notwendigen Zigaretten, die Tasse Kaffee und die warme Mahlzeit verdienen. Beschrieben wird dieses Leben von der Innenseite der Oberfläche her, in einer Sprache der Haut. Es spricht nicht das Opfer, das sich vorweg als solches begreift.

Nachdem sie die freie Marktwirtschaft bis zum physischen und psychischen Zusammenbruch durchlebt hat, flieht die Ich-Erzählerin nach Europa, siedelt sich in einer nordländischen Hippie-Großkommune an und verliebt sich in ein sexuell unkundiges, hilfloses Männerwesen. Sie lehrt ihn ihr gesammeltes Wissen über den Sex, nimmt ihm die Angst, schenkt ihm als Vertrauensbeweis ihre Heirat, macht ihn zum Mann. Und als er endlich potent ist, erkennt er seine Macht. Als Mann wiedergeboren, wandelt er sich zum Tier, zum Raubtier. Wo sie Zärtlichkeit meint, stößt er hart zu; wenn sie Gefühle durch spielerischen Schmerz steigern will, schlägt er sie brutal zusammen; was für sie schrankenlose Verausgabung ist, vögelt er auf die engen Grenzen pornographischer Videofilme zurück.

Sie verläßt ihn, verstört, zerschmettert. Ihr Leben verkehrt sich. „Der Koitus ist die Strafe für die Angst vorm Alleinsein... Ich bin Feministin geworden, nicht eine von der lustigen Sorte. Der Koitus ist Strafe, sage ich. Das ist schwer zu veröffentlichen.“

Zurück in New York, beginnt sie zu schreiben. Nicht mehr Sex ist ihre Droge, sie berauscht sich am einsamen Wortesuchen. Sie verweigert den direkten Körperverkauf und erfährt bei der Verlegersuche für ihr erstes Buch, daß die Haut so oder so zu Markte getragen werden muß. Dworkin schreibt Sexualität, der Lektor will Sex, zumindest will er über seinen eigenen sprechen. Was sie nicht hören will. Worüber es sie aber zu schreiben drängt. Das ist augenscheinlich nichts anderes als eine weitere Schleife im Prozeß der Hysterisierung von Sexualität. „Jeder Gegenstand des Alltags kann in einen sexualisierten Gegenstand verwandelt werden“, schrieb Dworkin in Pornographie, „in einen Gegenstand, der dazu verwendet werden kann, Frauen in einem sexuellen Kontext mit sexueller Absicht und sexueller Bedeutung zu quälen.“ Derartig dem despotischen Signifikanten Sexualität aufgesessen, verödet die Welt zu immer dem Einen — im Falle eines feministischen Puritanismus zur Omnipotenz einer pornographischen Superstruktur: Pornographie ist überall, nur nicht im Sex.

Vom atemlosen Herumirren in dieser Sackgasse erzählt Eis und Feuer. Es ist schade, daß der Roman erst nach dem irritierenden Theorieversuch Pornographie auf Deutsch erschienen ist. Denn es ist eines der wenigen Bücher, die sozusagen im Vollzug beschreiben, was Frauenparteilichkeit sein könnte: nicht ein kleinbürgerliches Heilsversprechen, das die Welt wieder schön und richtig machen will, sondern die „natürliche“ Konsequenz einer Lebensheftigkeit, wie sie nur wenige riskieren. Christel Ehlert-Weber

Andrea Dworkin: Eis und Feuer (Roman). Aus dem Amerikanischen von Christel Dormagen. KleinVerlag 1991, 180 Seiten, gebunden, 34 DM

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