: Mageres Ergebnis-betr.: "Zombie-Tanz oder Demokratie", Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 20.4.91
betr.: „Zombie-Tanz oder Demokratie“, Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 20.4.91
Je näher der grüne Parteitag rückt, desto größer wird das Bedürfnis der Presse, über seinen Verlauf zu spekulieren. In Spekulationen werden gewöhnlich die heimlichen Abneigungen und Wünsche dessen sichtbar, der sie anstellt. Herr Hartung von der taz macht hier keine Ausnahme und wäre deshalb kaum erwähnenswert, wenn die von ihm öffentlich zur Kenntnis gegebenen Ressentiments nicht noch die Besatzermentalität überträfen, die von westlichen Superdemokraten freimarktwirtschaftlicher Prägung den Ostdeutschen gegenüber an den Tag gelegt werden.
So wurde Herr Hartung zum Entdecker des „schlimmen Geistes“ der ostdeutschen PolitikerInnen, die vom „niederschmetternden Milieudruck der Bonner Politik“ beherrscht werden. Namen mag er nicht nennen, um seiner Phantasie keine Grenzen setzen zu müssen und den „Exponenten einer Betroffenenorganisation Ost“ vorwerfen zu können, was ihm gerade einfällt. Ihm fällt allerdings wenig genug ein. Das magere Ergebnis reduziert sich auf „das Argument, wenn uns schon der Kapitalismus schlägt, sollten die Grünen wenigstens...“
Da ist der geistige Höhen- oder Tiefflug schon beendet, die Phantasie versagt und versickert in drei Pünktchen. Macht nichts, für einen taz-Kommentar reicht's allemal, wenn man ihn mit einer Denunziation garniert. Die von Herrn Hartung erfundene Betroffenenhaltung wird als Rückfall hinter die osteuropäische Demokratiebewegung charakterisiert und imaginären Ostdeutschen zugeschrieben, die damit nicht nur keine demokratischen Impulse bringen, sondern die von den Grünen benötigte innerparteiliche Demokratie in die Ferne rücken. Na bitte, wenn jetzt was schiefgeht, weiß man wenigstens genau: Die Ossis waren dran schuld. Denn statt die Wessis machen zu lassen, wollen sie mitgestalten, Verantwortung übernehmen, ihre Erfahrungen einbringen, gleichberechtigte Partner sein.
Ein Alptraum, mit dem man in der taz-Redaktion seinerzeit fertiggeworden ist, indem man der Ostredaktion zeigte, wer der Herr im Hause ist.
Glücklicherweise ist das Demokratieverständnis der von ihm genannten grünen Politiker dem des Herrn Hartung himmelweit überlegen. Antje Vollmer und Hubert Kleinert sind mit den Vertretern von Bündnis90 im Konsens und Joschka Fischer hat gar öffentlich geäußert, daß er den Wunsch der Grünen Ost, im neuen Vorstand der Grünen Verantwortung zu übernehmen, als „absolut positives Zeichen“ wertet. Das ist allerdings nicht der Stoff, aus dem düstere und denunziatorische Kommentare gemacht werden können. Aber vielleicht sollte es Herr Hartung das nächste Mal mit der Wahrheit versuchen — der taz könnte das nur guttun. Vera Wollenberger, (Ost)Berlin
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