: Der bleierne Charme der Bourgeoisie
■ »La Caza« von Carlos Saura im Sputnik Wedding
Seinen dritten Spielfilm La Caza (Die Jagd) drehte Carlos Saura 1965. 1959 beginnt er seinen ersten längeren Film nach etlichen prämierten Kurzfilmen Los Golfos (Die Straßenjungen), der Idee nach eine Antwort des jungen spanischen Kinos auf Vittorio de Sicas Fahrraddiebe (1948), der wie andere Filme aus dem Ausland wegen der franquistischen Zensur erst mit Verspätung in Spanien seine Zuschauer fand. 1963 greift Saura in seinem zweiten Spielfilmprojekt Llanto por un bandido den spanischen Volkshelden »El Tempranillo« an und entwirft das Bild eines korruppten. liberalen Revolutionärs; in einer Zeit der reaktionären Filmdiktatur eine beliebte Variante, auf die politischen Verhältnisse und die noch kraftlose Linke im Lande hinzuweisen. Mit La Caza ändert sich Sauras Stil. Das Licht wird härter und wie im Film die Sonne im Zenit gleißt, verlöschen auch für die Kamera alle Schatten und vagen Andeutungen.
Mit La Caza scheißt Saura wie sein Vorbild Buñuel zum ersten Mal ins eigene Nest: »Seit La Caza handeln meine Filme von der Bourgeoisie, ich kenne sie am besten. Ich finde es richtig, daß proletarische Filme gemacht werden, aber ich selber habe keine unmittelbaren Kenntnisse von dieser sozialen Schicht, und darum kann und werde ich sie selber nicht machen.« Was so lapidar klingt, weist auf Sauras politische Abstinenz und sein Unvermögen, sich geschickt der Sprache zu bedienen. Die spanische Linke selbst lehnte seine Filme teilweise als unverständlich ab, dabei hat er, sieht man seine frühen Filme heute wieder, absolut recht: Nicht die Arbeiterklasse braucht Erbauungsfilme, sondern die kranke Bourgeoisie ihren Chronisten.
Gespenstischer als in La Caza könnte es nicht sein: In einer ausgedörrten Mondlandschaft begeben sich vier Männer auf die Jagd. Die Sonne erhebt sich soeben über die steinigen Hügel, als die Männer sich begrüßen. Sie tauschen Geschichten aus der Nacht ihrer Erinnerung aus. Gegen Mittag verblassen die Schatten, die Gesichter werden zum stumpfen Spiegel der Landschaft, tiefe Schützengräben, trockene Rinnen, die sich in dem vom Alter und Krieg pockennarbigen Gestein verlieren. Die Höflichkeit verdunstet rapide und wie die Karnickel, die ihre letzte Runde um den Busch hoppeln, um dann in ihren Löchern zu verschwinden, so schwenken José, Paco und Luis zum letzten Mal ihre Drinks, um sich schließlich in düstere Selbstgespräche zurückzuziehen. Selbst unter dem Schutz eines Sonnendachs leuchtet die Sonne jede Pore aus, jede Unebenheit im Zusammensein der ausgetrockneten Schießkumpanen. Eine Welt der Löcher, darin drei Männer, die ständig ihre Gewehrläufe putzen, in leere Gläser starren und deren senile Gedächtnislücken mit jedem gesprochenen Wort offenkundiger werden. Der Tween Enrique tollt derweil um das Lager der Fünfzigjährigen, gierig den Gewehrpark der sich angiftenden Knacker angrabbelnd (»Hier eine deutsche Lugger, die wird so manchem das Leben gekostet haben«).
Ihrer leeren Taschen, stumpfen Bekenntnisse und aller anderen dunklen Stellen in ihrem Leben überdrüssig, blasen die Männer zur Jagd, um die anderen aus ihren Löchern zu treiben. So wie damals die anarchistischen Widerständler aus ihren Unterschlüpfen, die jetzt wieder unversehrt neben den Kaninchenlöchern zu sehen sind. Und während die Kamera sich auf einen hungrigen Platz zwischen die ungleichen Gegner kniet, beginnt der spanische Bürgerkrieg noch einmal.
Mit La Caza erhielt der damals 34jährige Carlos Saura 1966 in Berlin den silbernen Bären für die beste Regie, den er für seinen nächsten Film Peppermint Frappe 1968 gleich wieder einheimste. Sauras schneller Wandel zum sarkastischen Pathologen des bürgerlichen Zombieleichnams reiht ihn ein in den Spähtrupp der Absurden um Luis G.Berlanga und Buñuel, die als erste in den späten Fünfzigern ihr Hohngelächter gegenüber der verordneten folkloristisch leichten Filmkost anstimmten. Mit Geraldine Chaplin in den Hauptrollen dreht Saura dieser Tradition folgend die nächsten 13 Jahre weiter. Ganz nach dem Prinzip, das auch Truffaut, Godard oder Woody Allen lange Zeit beibehielten: Filme um die Geliebte zu komponieren. Doch dem breiten Publikum wurde Saura erst durch seine Carmen-Verfilmung bekannt. Heute steht er in einer Reihe mit Filmstylisten wie Almodovar, die eher, der Mode entsprechend, den spanischen Yuppie (Bourgeois) als liebenswerten Defekten darstellen, dessen kleinliches Selbstmitleid den besserverdienenden Zuschauer innerhalb der EG aufmuntern soll.
Statt den bösen Humor der Sechziger und Siebziger weiterzuführen, gibt sich Saura heute eher versöhnlich, obwohl die Sinnleere der Bourgeoisie heute keineswegs verflogen ist. Deshalb gelten für die Neunziger nicht Sauras aktuelle Produktionen, sondern Filme wie La Caza. Don Toledo
La Caza, ( Die Jagd ). Regie: Carlos Saura, Spanien 1965, 91 Min. Läuft ab heute um 19.30 im Sputnik Wedding.
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