: Die Wahrheit liegt im Gegenteil
■ Betr.: "Der Weltpolizist und die Welt", taz vom 19.4.91
betr.: „Der Weltpolizist und die Welt“, Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 19.4.91
Ich möchte nicht betonen, daß es nie zu diesen Auswirkungen, sei es für Umwelt oder Menschen, gekommen wäre, wenn... Wenn was? Wenn endlich Reden und Taten übereingestimmt hätten, wenn dem Willen zur Verständigung auch Verständigung gefolgt wäre, von beiden Seiten, wenn der Heuchelei — wir alle seien für den Frieden — auch Frieden gefolgt wäre, besser — Frieden geblieben wäre. Mit dem Beginn des Krieges am Golf (im Januar '91 oder August '90 oder...) wurde wiederum deutlich das Unvermögen des Menschen, mit anderen friedlich zusammenleben zu können. Ausgangs des 20. Jahrhunderts, in der aufgeklärtesten aller Welten, ist der Mensch unfähig geworden (war er je fähig?), mit anderen vernünftig zu kommunizieren, um eigenen und beiderseitigen Ausgleich im Denken und Handeln zu erreichen. Er kann nicht mehr einem anderen zuhören (konnte er das je?). Er hört nur sich selbst. Und die zunehmende innere Vereinsamung des Stadtmenschen wie auch die unlogische Logik des Golfkrieges anno 90/91 sind Beweise genug und zugleich Folge.
Saddam Husseins Truppen, kriegsgeil gemacht, haben an der Front nach außen verloren. Ihre aufgebauschte Kriegslust mußte nach innen reflektiert werden. Und wer kam zu recht — die Kurden. Das Bild des irakischen Panzersoldaten, der mit den Fingern der rechten Hand das Zeichen des Sieges macht, ist Beleg genug. Das Für und Wider des Kriegseintrittes der USA warf deutliche Schatten auf die spätere Geschichtsschreibung sowie auf das derzeitige Weltverständnis gegenüber den USA. Die Notwendigkeit des bombengesicherten Infernos vor über Hunderttausenden von Toten mußte glaubhafter und einsichtiger gemacht werden. Und wer kam zu recht — die Kurden. Zu Tausenden mußten sie sterben, verhungert und erfroren (und doch nur als Folge), bis Herr Bush als der Erlöser auftreten konnte, womit alles richtiggestellt ist und dieser Krieg nun doch als gerechter enden darf. Und Herr Hartung nennt dies „Aufatmen“ — ungeteilt. Entschuldigen Sie, ich enthalte mich dieses Schuldabatmens. Wie widerwärtig das amerikanische Gebaren als Sieger. Erinnern Sie sich der sowjetischen Parolen, die ihren Einmarsch in Afghanistan als Hilfe und auf Wunsch der damaligen (wie noch heute) kommunistischen Regierung tarnten? Heute tarnen die Amerikaner ihr Weltgeltungsbedürfnis und die notwendige Begründung ihres Krieges gegen den „Menschenfeind“ mit dem „Hilferuf“ der „öffentlichen Meinung“, den Herr Hartung als „Sieg“ bezeichnet. Es ist eine Niederlage, ist Kriechertum, und nichts anderes, daß auf die grenzenlose und bestialische Heuchelei der Amerikaner hereingefallen worden ist; auch Sie, Herr Hartung, und mit Ihnen die taz, was außerordentlich schade ist.
Die Amerikaner können mit diesem „Sieg“ der „öffentlichen Meinung“ ihr geheucheltes Bild des „endlichen Befreiers“ festigen, und sonst nichts. Von einem Massenmörder erwarte ich keine Menschlichkeit im eigentlichen Sinn, von keinem der beiden. Die öffentliche Meinung war schon immer blind von Verführung und Blendung, wenn es um Hintergründe der Machtstrukturen ging. Ich halte mich nicht an solches oder ähnliches Geschwätz. Die Wahrheit liegt im Gegenteil, im Widerspruch, und nicht im Schein, der leuchtet und trübt. Ingo Stephan, (Ost)Berlin
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