MIT DER OSTWIRTSCHAFT AUF DU UND DU: Talfahrt wird langsamer
■ Breuel: Statistik ist schuld/ Ifo: Entlassungen gehen weiter/ DIW: Mehr Verdienst/ Preise: plus 7,7 Prozent
Berlin (taz) — Birgit Breuel (CDU), die Präsidentin der Treuhandanstalt, hat einen neuen Generalschuldigen dafür gefunden, daß die Bundesregierung über fast ein Jahr die Kosten der Einheit heruntergeredet hat: die offizielle DDR- Statistik. In der Mittwochausgabe der in Oldenburg erscheinenden 'Nordwest-Zeitung‘ meinte sie: „Wir haben die Erfahrung gemacht, daß viele Statistiken der Ex- DDR nicht nur unkorrekt waren, sondern sie waren richtig gefälscht, was zur Folge hatte, daß wir mit falschen Daten und Fakten damals vor der Einheit unsere Prognosen gemacht haben.“
Eine mutige Behauptung, denn schließlich hatte sogar der SPD-Finanzminister im Kabinett de Maizière, Walter Romberg, seit März vergangenen Jahres keinen Schritt ohne die Beamten des CSU-Finanzministers Theo Waigel machen können, und erste Zahlen über die Produktionsrückgänge wurden noch vor der Währungsunion zur Jahresmitte veröffentlicht.
Kein öffentlich diskutierbarer Beleg
Nun hatte zwar Egon Hölder, der Chef des Statistischen Bundesamtes, vor drei Wochen am Beispiel des Wohnungsbaus erläutert, wie groß die Diskrepanz zwischen richtig gesammelten und gefälscht veröffentlichten Zahlen sein konnte. Und auch sein Abteilungspräsident Oswald Angermann, Leiter der Zweigstelle Berlin-Alexanderplatz, mochte auf Anfrage die Breuel-Behauptung nicht zurückweisen. Dennoch weiß die Treuhandlenkerin offenbar mehr, denn für den industriellen Sektor, Kern der DDR-Volkswirtschaft, liegen Vergleiche zwischen den veröffentlichten und den internen Daten noch gar nicht vor.
Wer aber im Nachhinein behauptet, daß die Zahlen der offiziellen DDR-Statistik bis zum 3. Oktober 90 als Grundlage für die ostdeutschen Wirtschaftsprognosen gegolten hätten, verdreht die jüngste Vergangenheit ein bißchen arg. Das ganze Jahr 1990 hindurch ist genau das Fehlen verläßlicher Daten beklagt worden, und ohnehin verblaßt diese Frage vor dem Kardinalproblem, aus wahltaktischen Gründen die Folgen des „Anpassungsprozesses“ heruntergeredet zu haben. Daran hätten auch richtige Daten nichts geändert.
Besseres ostdeutsches Geschäftsklima
Immerhin, für Entlastung an der Krisenfront trägt das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung München, bei. In Zusammenarbeit mit dem Institut für angewandte Wirtschaftsforschung in Berlin haben sie zwar ein Flut weiterer schlechter Meldungen zusammengetragen, aber auch etwas Gutes: Erstmals seit August/September 90 habe sich im Februar das ostdeutsche Geschäftsklima für Industrie und Bau leicht verbessert. „Erste vorsichtige Anzeichen einer Stabilisierung“ lassen sich erkennen, die Unternehmen sähen den nächsten sechs Monaten „mit vorsichtigem Optimismus“ entgegen: Sowohl eine Stabilisierung bei der Produktion allgemein als auch beim Export speziell deute sich an. Erfreulich ist in der Tat, daß die Bautätigkeit nach den Plänen der Baufirmen leicht zunehmen werde.
Dann aber kommt's: Verschlechtert habe sich das Klima im Groß- ebenso wie im Einzelhandel. Dort, aber auch beim Bau und der Industrie werde die mangelnde Finanzausstattung beklagt. Die aktuelle Geschäftslage werde ebenso ungünstig eingeschätzt wie im Vormonat, gravierende Absatzschwierigkeiten haben 70 Prozent der befragten Industriefirmen gemeldet. Und der Rückgang der Beschäftigtenzahl dürfte sich in Industrie und Handel unverändert fortsetzen.
Ergibt sich: Es geht zwar weiter bergab, aber vermutlich nicht mehr ganz so schnell wie bisher.
Ein Fünftel mehr Haushaltseinkommen
Erstaunt wird vielleicht sein, wer die Meldung vom Vortag noch im Ohr hat, die Ost-Beschäftigten verdienten gerade 37 Prozent der Löhne und Gehälter im Westen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) meldet in seinem jüngsten Wochenbericht, das Einkommen der ostdeutschen Haushalte sei von Mitte 1989 bis Ende 1990 um ein Fünftel auf 60 Prozent des Westniveaus gestiegen, die Preissteigerungen einmal nicht mitgerechnet. Das Rätsel läßt sich lösen: Ursache ist vor allem die im Osten ungleich höhere Erwerbstätigkeit von Frauen. Daß sie zurückgeschraubt wird, ist allenthalben zu beobachten; wie sich dies aber auf das Haushaltseinkommen auswirken wird, ist derzeit noch nicht zu überschauen.
Die Armen zahlen mehr
Im einzelnen sind nach dem Wegfall der Subventionierungen vor allem teure und hochwertige Güter billiger geworden, wodurch vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen einen stärkeren Preisanstieg hinnehmen müssen. Insgesamt ist die Einkommensentwicklung höchst unterschiedlich. Einkommensverluste gab es „nur“ bei Haushalten mit einer arbeitslos gewordenen Erwerbsperson, worunter etwa alle alleinerziehenden Mütter fallen, die gefeuert wurden. Alle anderen Haushalte, auch solche mit Arbeitslosen und KurzarbeiterInnen, hatten stiegende Einkommen zu verzeichnen, wenn auch in sehr unterschiedlichem Umfang.
Die mit Abstand höchsten Zuwächse hatten RentnerInnenhaushalte mit 37 Prozent; der Durchschnitt stieg auf 869 DM. Haushalte mit zwei Vollarbeitenden legten um 26 Prozent zu, solche mit einer Person in Kurzarbeit nur wenig darunter, weil das Kurzarbeitergeld von Ende 1990 höher war als das Erwerbseinkommen vom Mai 1989 — ein Anfangs-Stichtag also, der zu seltsamen Schlußfolgerungen führt, zumal auch die Währungsunion dazwischen liegt.
Lebenshaltungs- Kosten plus 7,7 Prozent
Und schließlich meldet uns das Statistische Bundesamt in Wiesbaden noch die Kosten der Lebenshaltung in den fünfeinhalb neuen Bundesländern. Für vierköpfige Haushalte von ArbeitnehmerInnen lag er im März um 7,7 Prozent über dem für 1989 ermittelten Durchschnittswert; von Februar auf März 1991 stieg er um 0,8 Prozent. Wer drüber lachen will, bitte: Bananen wurden innerhalb Monatsfrist um 12 Prozent teurer, Weißkohl stieg um 16 Prozent. „Fremde Verkehrsleistungen“, also Busse, Bahnen oder Taxis, kamen um 15 Prozent teurer, der Besuch von Sportveranstaltungen um 12 Prozent.
Mieten und Strom um die Hälfte teurer
Billiger als 1989 wurden Bekleidung und Schuhe (um 30,2 Prozent) sowie Möbel und Haushaltgeräte (um 20,7 Prozent). Deutlich zugelegt haben dagegen Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren (um 16,8 Prozent) und die Haushaltchemie in Form von Gesundheits- und Körperpflegemitteln (plus 29,2 Prozent). Den Rekord halten Wohnungsmieten und Energie: Sie wurden bereits um 58,7 Prozent teurer. diba
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