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Der Widerspenstigen Lähmung

■ Europapokal der Landesmeister: Roter Stern Belgrad — Bayern München 2:2 (Hinspiel: 2:1) Äußerst glücklich, aber hochverdient erreichen die Jugoslawen das Finale gegen Olympique Marseille

Berlin (taz) — Was Gustav Gans für Entenhausen, waren die Münchner Bayern lange Zeit für den Fußball. So wie dem vom Glück verfolgten Enterich alles zum Guten gerät, solange ihm seine Hasenpfote nicht abhanden kommt, so war auch der Dusel der Bayern geradezu sprichwörtlich. Je länger ein Spiel auf der Kippe stand, desto sicherer konnte man sein, daß der Sieger zum Schluß Bayern München heißen würde.

Doch diese Zeiten scheinen endgültig vorbei zu sein. Zwar gelingt es den Bayern nach wie vor, klar bessere Gegner auf geheimnisvolle Art in die Bredouille zu bringen, aber am Ende sind immer sie selbst die Dummen. So war es im Halbfinale des letzten Jahres gegen den AC Mailand, und so war es auch diesmal.

Dabei hatten sich die exzellenten, aber zur Überheblichkeit neigenden Filigrantechniker aus Belgrad fest vorgenommen, die Münchner ganz furchtbar ernstzunehmen, doch sie hielten diesen löblichen Vorsatz nur eine Halbzeit durch. Aufmerksam standen sie in der Verteidigung und immer wieder vollführten sie Angriffe von beeindruckender Finesse, die meist über den gewieften Dribbler Savicevic liefen, der nach Belieben um die Bayern-Spieler herumkurvte, bis sie ihn zu Boden streckten. Einer der dann fälligen Freistöße führte zum 1:0 durch Mihajlovic und langsam kehrte Sorglosigkeit ein bei den Roten Sternen.

Nach der Halbzeit — die 90.000 im Belgrader Maracaná riefen den Bayern schon ein herzliches „Auf Wiedersehen“ zu, das sie extra für diesen Abend einstudiert hatten — warfen Prosinecki und Savicevic alle Zielstrebigkeit über Bord und spielten nur noch Katz und Maus mit ihren tapsigen Gegnern, Binic packte der Eigensinn, Pancev setzte sich zur Ruhe und die Abwehr begann Zeit zu schinden.

Die Belgrader ahnten es noch nicht, aber das Damoklesschwert schwebte immer dichter über ihnen, denn derartige Nachlässigkeiten lieben die notorisch widerspenstigen Bayern. Dann kommt meist ihre große Stunde, sie schießen ein glückliches Tor und sind sofort voll da, während der geplättete Kontrahent aus allen Wolken fällt und vor lauter Entsetzen immer größere Dummheiten begeht. Und so geschah es.

Sabanadzovic, der schon im WM- Viertelfinale sein Nationalteam ins Unglück gestürzt hatte, als er wegen eines törichten Fouls an Maradona vom Platz gestellt wurde, holte Laudrup unnütz von den Füßen und der von Augenthaler sehr harmlos getretene Freistoß rutschte Torwart Stojanovic durch die Beine: 1:1. Kurz darauf ließ Libero Belodedic einen Ball stümperhaft zum freistehenden Bender prallen: 1:2.

Fehlte nur noch das Bayern-Happy-End, die Mutation der Roten Sterne zu Roten Schnuppen: Verlängerung, Elfmeterschießen, Thon verwandelt den entscheidenden Strafstoß für die Münchner.

Aber es kam anders. Nachdem das Spiel munter hin- und hergewogt war, Pancev auf der einen, Wohlfarth auf der anderen Seite beste Chancen versiebt hatten, verlängerte ausgerechnet Routinier Augenthaler eine Flanke so ungeschickt, daß sie in hohem Bogen aufs eigene Tor zusegelte. Torhüter lieben so etwas nicht, und Aumann überlegte krampfhaft, ob er den Ball nun fangen oder über die Latte lenken sollte. „Bis ich mich entscheiden konnte, war er drin“, erzählte der geknickte Keeper später: 2:2, Belgrad im Finale.

Während die Münchner Spieler wie gelähmt ins Leere starrten, die begeisterten Zuschauer den Rasen stürmten und fein säuberlich die Tore in Einzelteile zerlegten, war Bayern- Manager Uli Hoeneß den Tränen nah. „Das hat die Mannschaft nicht verdient“, stammelte er, aber er täuschte sich. Verdient war der Triumph von Roter Stern Belgrad allemal. Anstatt zu jammern, sollte Uli Hoeneß lieber versuchen herauszufinden, wer den Bayern die Hasenpfote entwendet hat. Matti

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