Brandenburg favorisiert Gesamtschule

Ampelkoalition verabschiedete das Erste Schulreformgesetz gegen Stimmen von CDU und PDS  ■ Von Irina Grabowski

Potsdam (taz) — Gut drei Monate füllten Beiträge über die Vorliebe der Marianne Birthler für die Gesamtschulen die Lokalzeitungen in Brandenburg. Vehement und mit rücksichtsloser Kompetenz verteidigte die Bildungsministerin vom Bündnis 90 das von der Ampelkoalition eingebrachte Erste Schulreformgesetz in der Öffentlichkeit. Mit Erfolg: Das Vorschaltgesetz passierte in dieser Woche nach einer nervenden dritten Lesung den Landtag.

In Zukunft können Eltern in Brandenburg ihre Kinder nach sechs Jahren Grundschule entweder auf ein Gymnasium oder eine Gesamtschule schicken. Im Angebot sind, wenn einzelne Kommunen das wünschen, auch Realschulen. An Oberstufenzentren der Sekundarstufe II können geeignete Gesamt- oder Realschüler das Abitur ablegen, in dem einzigen Neubundesland nach 13 Jahren.

Die als Regelfall anvisierten Gesamtschulen können auch „einzügig“ geführt werden, also von der ersten bis zur Klassenstufe 10. Die Hauptschule, die ihren Kritikern in den Altbundesländern als Abstellkammer für weniger lernbegabte und sozial schlechter gestellte Kinder gilt, wird in Brandenburg keine Chance haben. Mit großem Ärger verfolgten die CDU-Parlamentarier die Aktivitäten des Bildungsministeriums. Es versuche, so kam die Klage von der Oppositionsbank, „die Schullandschaft in Brandenburg einheitlich in Richtung Gesamtschule einzubetonieren“. Man plädiere für ein „pluralistisches Bildungssystem“ — doch ihrerseits übergeht die CDU in einem eigenen Konzept die Gesamtschulen mit Schweigen. Schließlich, so die Begründung, würden doch die Statistiken eine „klare Sprache“ sprechen: Während in den Gesamtschulen rund ein Drittel der Abgänger keinen Ausbildungsplatz erhalte, gehe in den Gymnasien „nur“ bei einem knappen Viertel der Abgänger die Vermittlung schief. Eigentlich, betonte Marianne Birthler immer wieder, sei es ihr egal, wie die Schultypen letztlich genannt werden. Wichtig sei aber, daß eine „differenzierte Förderung“ der Kinder möglich ist und das System auch nach der Grundstufe „durchlässig“ bleibt, damit sich auch „Spätzünder“ noch für das Abitur entscheiden. Das war auch von den liberalen Koalitionspartnern eingefordert worden. Die PDS begrüßte die Idee der integrierten Gesamtschule, die „den örtlichen Gegebenheiten und den inhaltlichen Anforderungen der Zukunft“ gerecht würde. Gemeint ist damit, daß zum Beispiel den Kindern lange Schulwege und ständiger Schulwechsel erspart bleiben. Gefreut habe man sich auch darüber, daß im Gesetz Ganztagsschulen vorgesehen sind. Doch wenn die Hortnerinnen ab Sommer 1991 von den Kommunen bezahlt werden müssen, würde die ganztägige Betreuung nicht entsprechend dem Bedarf, sondern den Geldbeuteln der Eltern und Gemeinden eingeschmolzen.

Das Gesetz ist verabschiedet, doch die Diskussionen über die Schulreform gehen weiter. Bis zum 15. Mai müssen im Ministerium die in den Landkreisen abgestimmten Schulentwicklungspläne vorliegen. Erst danach kann entschieden werden, wo welcher Schultyp entsteht. Die Schüler der achten Klassen können sich schon für die Zeit nach den Sommerferien frisch machen. Dann werden sie durch Kurse „im Rahmen einer Fachleistungsdifferenzierung“ in Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen auf die neuartigen Bildungsgänge der Sekundarstufe (Klasse 7 bis 10) vorbereitet.