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Absurd!

Bob Dylans eigenes Label bringt fünf Platten mit Outtakes und Raubmitschnitten heraus  ■ Von Matti Lieske

Nun gut, es sind einige wirklich schöne Stücke in der Sammlung enthalten, die als Bob Dylans Bootleg Series 1-3 ein paar Wochen vor dem fünfzigsten Geburtstag des Meisters am 11. Mai auf den Markt geworfen wurde. Von den 58 Liedern der Kollektion haben besonders einige frühe Werke jenes Flair von Unsterblichkeit, das Dylan den Ausgeburten seiner musikalischen Phantasie vor fast dreißig Jahren einzuhauchen wußte. Damals, in seiner produktivsten Phase, war er noch ziemlich zornig, raunzte die Songs mit einer gehörigen Portion Fanatismus hinaus und erfand dabei wunderschön skurrile Textzeilen — dies so ausgiebig, daß er meist noch die Plattencover mit seinen Dichtungen vollschrieb.

„Who's gonna kiss your Memphis mouth, when I'm out in the wind“, fragt er verzweifelt in dem hübschen Stück Kingsport Town, trällert einen gefühlvollen Worried Blues, und beim Song Moonshiner heult er wie ein angetrunkener Coyote, wenn er den profunden Vers intoniert: „When the bottle gets empty, life sure ain't worth a damn.“ Es ist eine Freude, endlich mal eine vollständige Version des bitteren Let Me Die In My Footsteps zu hören, und auch der damals wegen Antikommunistenfeindlichkeit von seiner zweiten Platte und aus der Ed-Sullivan-Show verbannte Talkin John Birch Society Blues, hier in einer Live-Version aus der New Yorker Carnegie Hall, ist ein Meilenstein in Dylans Schaffen.

Zügig geht es durch die Jahre, und hin und wieder taucht eine weitere minder bekannte Perle aus seinem umfangreichen Repertoire auf, Santa Fe von den Basement Tapes etwa, das schmerzensreiche Angelina von den Shot of Love-Sessions oder eine seiner besten Aufnahmen der letzten zehn Jahre, Blind Willie McTell mit Mark Knopfler an der Gitarre.

Lobenswert das Beiheft mit ausführlichen Erläuterungen zu jedem Song, aber: Trotz alledem bleibt ein schaler Beigeschmack. Schließlich war es kein anderer als Bob Dylan, der jahrelang als selbsternannter Vorkämpfer gegen das Bootleg-Wesen focht. Während die Rolling Stones die eifrigsten Sammler von Raubmitschnitten ihrer Musik sind, die Grateful Dead extra einen Platz zum Aufnehmen von Konzerten einrichten, bliesen Dylan und seine Anwälte zum Kreuzzug und versuchten in der ganzen Welt, Urteile gegen Bootlegger zu erwirken.

Die Begründung war weniger finanzieller Natur — auch Dylan sah ein, daß jemand der so verrückt ist, daß er sich die übelsten Konzertmitschnitte reinzieht, vermutlich auch die offiziellen Platten kaufen wird. Der einstige Propagandist der Gesetzlosigkeit („To live outside the law you must be honest“) argumentierte vielmehr künstlerisch. Es gehe nicht an, daß seine Konzerte einfach verbreitet würden, schließlich könnte er ja einen schlechten Tag erwischt haben. Dasselbe gelte für die Outtakes. Dies seien Aufnahmen, die der Künstler nicht der Veröffentlichung wert befunden habe, also dürften sie logischerweise auch nicht veröffentlicht werden.

Seine Fans mochten dieser Argumentation nie folgen, deckten sich, wo es nur ging, mit Live-Aufnahmen und Outtakes ein und dürfen sich zu guter Letzt bestätigt sehen, besteht doch die jetzt veröffentlichte Song- Sammlung größtenteils aus ebenjenen Outtakes, gegen deren Bekanntwerden der Urheber so eifrig gekämpft hatte.

Und siehe da, streckenweise wirkt es, als habe Dylan gar nicht mal so falsch gelegen. Der Zuhörer wird das Gefühl nicht los, den geballten Ramsch von dreißig Jahren vorgesetzt zu bekommen, und oft ertappt man sich unwillkürlich bei einem zustimmenden Kopfnicken und dem Gedanken: „Irgendwie hatte er recht, daß er dieses Stück damals weggelassen hat.“

Bootlegs bleiben eben Bootlegs. Sie müssen rauschen und knistern, die elendiglichen Leute, die ständig in die Aufnahme reinplappern, gehören genauso dazu wie der blecherne Sound, und das Wesentliche bei Bootlegs ist ohnehin die Jagd nach ihnen: das Aufspüren auf Plattenbörsen oder in verwinkelten Läden und die Zufriedenheit nach einem besonders gelungenen Coup.

Eine legalisierte Bootleg Series? Absurd! Darauf können wirklich nur ein verwirrter fünfzigjähriger Rockveteran und seine gierige Plattenfirma kommen. Wahre Fans können darüber nur lachen. Aber kaufen werden sie die Kollektion natürlich dennoch.

Bob Dylan: The Bootleg Series 1-3 . Sony/Columbia 468086 1

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