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Dieses Jahr keine „machtvolle“ Demonstration

■ Mai-Demos in den Industriestädten des Ostens mit hoffnungsfrohen Reden der Westpolitiker und weniger Zuhörern als erwartet

Fünf neue Länder. Nach dem gestrigen 1. Mai ist nun auch der Übergang vom „Kampftag der Werktätigen“ zum „Tag der Arbeit“ vollzogen. Kämpferisch und fordernd prägte nahezu einheitlich der Ruf nach Solidarität die von den Gewerkschaften organisierten Demonstrationen in den ostdeutschen Städten. Auf den vom DGB vorbereiteten Maifeiern in mehreren Dutzend Städten des Freistaates Sachsen sprachen sich Gewerkschafter, Politiker und Arbeitnehmer vor mehreren Zehntausend Teilnehmern gemäß dem Motto der Mai-Kundgebungen „Soziale Einheit in Frieden und Freiheit“ dafür aus, die innere Einheit Deutschlands auszugestalten.

In der Landeshauptstadt Dresden entwarf bei regnerischem Wetter vor rund 5.000 Bürgern Premier Kurt Biedenkopf ein optimistisches Bild, indem er die Möglichkeiten für den sozial verträglichen Umbau der Wirtschaft die von ihm als Qualifizierungs- und Aufbaugesellschaften bezeichneten Beschäftigungsgesellschaften hervorhob.

Ähnlich aufmunternde Worte fand der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) in der Lausitzer Tuchmacherstadt Forst vor gut tausend Menschen, wo er zu sofortigen Maßnahmen zum Erhalt der Arbeitsplätze aufrief. Außerdem wollte er den Menschen im Osten Mut machen, sich für den Aufschwung zu engagieren. Weiter riet er ihnen, Ostprodukte zu kaufen, denn „wer Westwaren kauft, kauft sich den Arbeitsplatz weg“.

In Zwickau sprach sich der SPD- Chef Hans-Jochen Vogel für neue Strukturkonzepte für die Region aus, in der am Vorabend der letzt Trabant vom Band gelaufen ist. Dennoch wollte Vogel lieber mit den Leuten reden, als Versprechungen zu machen, erklärte er vor mehreren Zehntausend Leuten.

Weitaus weniger Menschen kamen in den meisten anderen größeren Industriestädten zusammen. Nur wenige Hundert waren es in Gera, Rostock, Erfurt und Neubrandenburg. Dort machte den, der es noch nicht gemerkt hat, Wolfgang Thierse darauf aufmerksam, daß die deutsche Einheit ein langwieriger Vorgang sei, der auf viele Jahre mit Opfern verbunden sein wird. Wie fast überall wurde auch hier von einer erwarteten Arbeitslosenrate von nahezu 50 Prozent gesprochen.

Nur in Leipzig gab es neben den organiserten Mai-Kundgebungen andere Demonstrationen. Dort hatten sich mehrere Hundert Jugendliche der linksautonomen Szene zu einer „alternativen Mai-Demonstration“ in der Innenstadt getroffen. Mit roten, schwarz-roten und DDR-Fahnen zogen sie friedlich durchs Zentrum und proklamierten damit ihren Unwillen gegen die „schlaffen Mai- Feiern der etablierten Organisationen und Parteien“. Mit Transparenten und Sprechchören forderten die Demonstranten immer wieder „Nazis raus“. adn/taz

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