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Der Döner und die Liebe

■ Fikret Genc eröffnet den Yaprac-Imbiß

Faltet man seinen Falkplan ganz auf, sieht man, daß die Wiener Straße ziemlich genau da liegt, wo Falkpläne von anderen Städten die Boutiquenmeile anzeigen, da, wo garantiert auch Lufthansabüros und teure Küchenschnickschnackläden zu finden sind. Der Prozeß, der Berlins Zentrum wieder der Falkplan- Norm entsprechend verrutschen wird, hat längst begonnen, mit unangenehmen Druck, den viele Mieter mit großer Not beobachten. Verwalter interessieren sich plötzlich für Dinge, die sie nie interessiert hatten, besichtigen Wohnungen, reparieren Haustüren, lassen Flure putzen, Fassaden eierschalengelb streichen und schreiben fleißig Kündigungsbriefe. Erfahrungsgemäß erwischt es zuerst die kleinen Geschäfte, das Reformhaus mit den netten Verkäuferinnen hat schon seit Wochen zu, dann war der Friseursalon »Hairtrend« dran, und als vorerst letzter schloß der Zeitungsladen, wo man nie mit größeren Noten als mit Zehnern bezahlen durfte.

Diesen bedenklich-unerfreulichen Auswirkungen des Mietwuchers tritt nun ein Mann entgegen, dessen Name vielen Menschen nicht nur in Kreuzberg ein Begriff ist: Fikret Genc. Ein Herzensbrecher, wie man seinesgleichen lange suchen muß. Von unzähligen Frauen glühend geliebt, von Freunden geschätzt, von eifersüchtigen Brüdern und Ehemännern verzehrend gehaßt. Früher besaß Fikret Genc einen An- und Verkaufsladen in der Ohlauer. Der Laden lief, und auf den wöchentlich wechselnden Sofagarnituren vergingen die Nachmittage wie im Flug. Ein imposantes, futuristisches Ehebett mit eingelassenem Radio, reichlicher Spiegel- und Glühbirnenverzierung und das Solarium, beide im Hinterzimmer, waren lange Zeit nicht für den Verkauf freigegeben. Damals, so erinnert sich Fikret Genc, seien zwanzig, dreißig Frauen gleichzeitig in ihn verliebt gewesen. Immer guter Laune, charmant und trostspendend wenn nötig, flogen ihm die Herzen nur so zu, nicht einmal seine Zahnärztin konnte ihm widerstehen, als sie ihn im Behandlungsstuhl vor sich erblickte. Oft sah man Fikret Genc in seinem goldenen Mercedes mit einer oder mehreren Schönen durchs Viertel cruisen. Er war glücklich. Dann aber zwangen Herzensangelegenheiten und Familienzwiste ihn, aus dem Laden auszusteigen. Ein langer, einsamer und deprimierender Winter verging.

Jetzt endlich scheint die Talstrecke überwunden. Gestern eröffnete Fikret Genc in der Wiener Straße 61 eine Imbißstube, die er von einem Bekannten übernahm. Vieles von der Innendekoration bleibt so wie gehabt — der röhrende Hirsch, das große Modellbauschiff und die Bratvorrichtungen. In den vergangenen zwei Wochen sah man Tag für Tag, wie eine Theke gezimmert wurde und wie bis zu zehn (männliche) Teenager Bierdosen einräumten und sich anderweitig nützlich machten. Auch die Küche ist nett eingerichtet worden, damit man sich dort auch mal zurückziehen kann. Im Laufe des Vormittags kamen viele Bekannte, schenkten rote Rosen zur Eröffnung, probierten und lobten die Döner. Gegen Mittag machte vermehrt Laufpublikum im Yaprak-Imbiß halt, das sich auf dem Weg zum Oranienplatz stärkte. Fikret Genc ist durch den Streß zwar etwas abgemagert, aber schon lange hat er nicht mehr so glücklich ausgesehen. Sein Imbiß, so erzählt er, soll zunächst nur türkische und arabische Gerichte anbieten — Döner, Lahmacun, Falafel etc. —, in Bälde aber auch deutsche, nämlich Thüringer, Wiener und Currywurst. Das Essen wird also ein solides Standardmenü zu normalen Preisen sein — aber, das ist zu erwarten, die Atmosphäre wird herzlicher sein und wärmer als anderswo.

Der Yaprak-Imbiß soll ein Ort werden, wo man gern verweilt. Wo man häufig hingeht, selbst wenn man gerade keinen Hunger hat und ganz gleich, was man gegessen hat, mit einem wohligen Gefühl von dannen geht. Ein Bollwerk gegen die kalt-kapitalistischen Rausschmeißaktionen. Fikret Genc hofft für sich persönlich darauf, daß mit seinem zweiten Laden wieder die Voraussetzungen für glückliche Stunden zu zweit oder in größerer Runde geschaffen sind. Viele teilen diesen Wunsch. Dorothee Wenner

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